06.12.2022

Argumente gegen Windkraftgegner - Leserbrief

Die WZ druckt weiter munter Leserbriefe von Menschen ab, die in einer Parallelwelt zu leben scheinen und denen physikalische Gesetzmäßigkeiten egal sind. Deshalb habe ich einige Fakten zu Windkraft gesammelt, um das zu widerlegen, was immer und immer wieder hervorgeholt wird.

[veröffentlicht am 06.12.2022]
Nach wie vor gilt das Prinzip: “nicht in meinem Vorgarten”, wenn es um den Bau neuer Windkraftanlagen geht. Die dürfen gern woanders stehen, aber nicht da, wo es mich stört.

Statt dies aber ehrlich zuzugeben, werden hanebüchene, längst widerlegte Argumente aus der Mottenkiste der üblichen Klimawandelleugner hervorgeholt.

Dies sind in beliebiger Reihenfolge: “Spargel”, “Vogeltod”, “Infraschall”, “Anzahl neuer Anlagen”.

Schauen wir mal genauer hin:

Für Vögel stellen Windkraftanlagen wirklich eine ernstzunehmende Gefahr dar. Die Zahl der getöteten Vögel durch Windkraftanlagen in Deutschland wird auf bis zu 100.000 pro Jahr geschätzt. Aber: rund 18 Millionen Vögel sterben jährlich in Deutschland an Glasscheiben. Auch im Straßenverkehr kommen erheblich mehr Vögel ums Leben als durch Windkraftanlagen. In den USA gehen Studien von weit über einer Milliarde durch Katzen getöteten Vögel aus, für Deutschland gibt es Schätzungen von ca. 200 Millionen Vögeln. Dieses Missverhältnis wird aber gern nicht erwähnt. 100.000 als alleinstehende Zahl ohne Kontext klingt ja auch schon ganz schön viel.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat mittlerweile bei einer von Windkraftgegnern gern und oft zitierten Studie zum Infraschall aus dem Jahr 2005 Mess- und Rechenfehler eingeräumt. Dr. Stefan Holzheu, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth, hat bemerkt, dass der BGR bei der Umrechnung des Drucksignals in Schalldruckpegel ein schwerer Rechenfehler unterlaufen ist, der zu einer Überschätzung von 36 dB führte. In Schallleistung entspricht dies einem Faktor 4.000 (Dezibel ist eine logarithmische Maßeinheit). Klartext: Infraschall von Windkraftanlagen ist nicht gefährlich.

Mit anderen Worten: ein 15 Jahre alter Rechenfehler dient als Argumentation zur Verhinderung von Windkraftanlagen. Die BGR hat sich sehr lange geziert, diesen Fehler zuzugeben. Deshalb kursiert dieses Märchen auch heutzutage noch.

Die “Verspargelung” der Landschaft wird als ästhetisches Problem genannt. Dieselben Menschen haben aber keine Probleme mit Kohlegruben, die Hunderte von Metern tief sind und Quadratkilometer Fläche - und damit wertvollen Ackerboden oder Dörfer wie Lützerath oder Baudenkmäler wie den “Immerather Dom” - zerstören.

Gern wird auch mit der Höhe der Anlagen argumentiert. Es gilt jedoch: der Ertrag von Windkraftanlagen steigt stärker als linear mit der Höhe des Spargels und der Fläche des Rotors. Das aktuell leistungsstärkste und größte Windrad der Welt hat einen Rotor von 222 Metern Durchmesser und eine Nennleistung von 14 Megawatt. Ein modernes Windrad erzeugt gut zehn GWh Strom pro Jahr. Bedarf Deutschlands derzeit: ca. 550 TWh pro Jahr.

Die Anzahl der neu zu bauenden Windkraftanlagen wird auch gern übertrieben: Gegner behaupten, man müsse über 30.000 neue Anlagen bauen. Dabei werden gern Leistungswerte von “kleinen” und alten Anlagen (um 1 MW pro Anlage) verwendet, um die Zahl künstlich aufzubauschen. Da hier die technische Entwicklung rasant fortschreitet, könnte durch Ersatz von alten Anlagen nach der üblichen Lebenszeit von 20-25 Jahren sogar die jetzige Anzahl ungefähr beibehalten werden.

Stand 2021 gibt es in Deutschland ca. 28.000 Windkraftanlagen an Land (on shore), die 57 GW Strom produzieren könnten. Zum Vergleich: die drei noch aktiven deutschen Kernkraftwerke erzeugen zusammen ca. 4,5 GW. Man sieht hier nebenbei, dass es sinnlos ist, die Laufzeiten der KKW zu verlängern. Es wird in Deutschland keinen “Blackout” geben, der gern als Schlagwort zur Panikmache in den Raum geworfen wird.

Der tägliche Bedarf in Deutschland liegt zwischen 60 und 80 GW. Da Kohle und Kernkraft nur langsam regelbar sind, werden jedoch leider immer wieder Windkraftanlagen abgeschaltet, um das Energienetz europaweit stabil auf 50 Hz zu halten. Insgesamt hat Deutschland eine Erzeugerkapazität von ca. 230 GW (Biomasse, Wasser, Gas, Kohle, Kernkraft, Wind, Solar usw.). Man sieht erneut: die Kernkraftwerke sind nicht nötig.

Noch eine Anekdote zum Schluss: China hat allein im letzten Jahr mehr Erneuerbare Energien zugebaut als Deutschland insgesamt besitzt.

30.10.2022

Soll es weniger Krankenhäuser geben? - Leserbrief

[veröffentlicht am 28.10.2022]

Die WZ veröffentlichte am 29.09. ein Interview mit dem Chef des Krankenhauskonzerns Agaplesion, das für mich alle schlechten Seiten des Kapitalismus aufzeigt.

Genau wie vor einiger Zeit die Bertelsmann-Stiftung fordert er, dass unrentable Krankenhäuser geschlossen werden sollen. Die Belegschaft wird als Verschiebemasse gesehen, die dann einem anderen Krankenhaus des Konzerns zugeteilt werden kann.

Begründet wird dies mit der Überlegung, dass wenige große Zentren effizienter arbeiten und denselben Umfang an Versorgung mit weniger Personal erreichen könnten, weil die Krankenhäuser mit großer Personalnot kämpfen.

Dabei wird völlig ausgeblendet, dass der derzeitige Pflegenotstand durch die schlechten Arbeitsbedingungen, die schlechte Bezahlung und die geringe Wertschätzung für die anstrengende Arbeit bedingt ist. Der sechswöchige Streik des Personals in Köln hat leider sehr wenig öffentliche Beachtung gefunden, insbesondere in den Medien. Stattdessen gibt es ein weiteres neoliberales Salbadern darüber, wie toll es ist, mehr Aufgaben mit noch weniger Personal - und damit Kosten - zu erledigen.

Wie groß war denn der Aufschrei in der "Bild"-Zeitung, als Flugpersonal streiken wollte? Der heilige Urlaub mit dem Billigflieger war in Gefahr! Aber der Streik von Fachpersonal im Gesundheitswesen war der Boulevardpresse kaum eine Randnotiz wert.

Die "Bezahlung" beim Kauf von weiteren Krankenhäusern besteht also aus Aktien des eigenen Unternehmens? Das bedeutet, dass hier Lotterie mit dem künftigen, aber natürlich volatilen Ertrag des Käufers gespielt wird. Der eigentliche Gegenwert des Kaufs bestimmt sich dann erst beim Verkauf der übereigneten Aktien. Die derzeitige politische und wirtschaftliche Lage spricht nicht für dieses Konzept. Der DAX sinkt - wer jetzt Aktien als Gegenleistung akzeptiert, riskiert einen wirtschaftlichen Totalschaden.

Statt über Kürzungen beim Personal nachzudenken, sollte der Konzern höhere Gehälter zahlen und nicht nur auf die Steigerung der Dividende schielen.

Nach dem Verkauf der Uni-Kliniken in Marburg und Gießen (UKGM) an die Rhön-Kliniken gab es mehrfach finanzielle Nöte, so dass das Land Hessen Hunderte von Millionen Euro nachschießen musste. Kürzungen betrafen trotzdem Forschung, Personal und technische Ausstattung. Im Gegensatz dazu wurden die Aktionäre aber immer schön ausbezahlt: "Zwischen 2015 bis 2019 haben sich die Aktionäre des UKGM insgesamt 278,2 Millionen Euro an Gewinnen ausgezahlt. An die Mitglieder des Aufsichtsrats gingen 10 Millionen, 20 Millionen Euro an aktive und ehemalige Vorstände, 6 Millionen an die Wirtschaftsprüfer PWC". Hier sieht man, wie schön der Sinnspruch "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" immer dann zutrifft, wenn die öffentliche Hand sich zurückzuziehen versucht und private Investoren eintreten.

Als für Investitionen erneut Geld vom Land angefordert wurde, wehrte sich der Klinikbesitzer juristisch mit Händen und Füßen erbittert gegen einen Vertragspassus, dass die Wertsteigerung nach den Investitionen bei einem eventuellen Weiterverkauf teilweise an das Land zurückgezahlt werden sollte.

Bestimmte Institutionen sollten nicht von privaten Besitzern betrieben werden. Dazu gehören die Gesundheitsvorsorge ebenso wie öffentlicher Nahverkehr und die Infrastrukturbetreiber für Gas, Wasser, Strom und Kommunikation. Gerade an diesem Interview sieht man sehr deutlich, dass die Qualität leiden wird, wenn private Gewinnerzielung über den volkswirtschaftlichen Nutzen dominiert.

13.10.2022

E-Fuels sind immer noch unrealistisch - Leserbrief

[veröffentlicht am 13.10.2022]

ADAC:
  • bei der Verwendung in Autos haben e-Fuels einen Wirkungsgrad von ca. 10 %.
"Auto Motor Sport":
  • "e-Fuels verursachen 4-fache CO2-Emissionen"
  • "e-Fuels sind zu ineffizient und zu teuer".
Opel:
  • E-Fuels möglich, aber erfordern starke Veränderungen am Motor (Baujahr 2021).
VW-Aufsichtsrat:
  • synthetische Kraftstoffe sind keine Alternative für die Massen
Hr. F.:
  • Hold my beer, die FAZ als Quelle ist viel besser.
Hr. F.schreibt, dass alle Autos ab 2015 fähig sind, mit E-Fuels zu fahren. Umgekehrt schreibt Opel, dass ein aktuelles Modell (Grandland 1.2L) erst nach massiven Umbauten mit E-Fuels fahren konnte. Alle gängigen Autoportale schreiben derzeit, dass nur spezielle Automodelle für z.B. E85 geeignet sind, man könne aber FFV-Sensoren nachrüsten. Es gibt deutschlandweit um die 350 Tankstellen für E85. Wie im letzten Leserbrief geschrieben: wie realistisch ist das Nachrüsten von 40 Millionen Fahrzeugen? Ich lasse diese Diskrepanz jetzt unkommentiert. Auf die weiteren Argumente wie Herstellungskosten und den Energiebedarf der Vorstufen von E-Fuels oder die Unterschiede zwischen Benzin und Diesel wollte Hr. F. ebenfalls nicht weiter eingehen.

Stattdessen packt er ein weiteres Thema aus, das gern zur Ablenkung in Diskussionen verwendet wird, wenn man beim eigentlichen Thema nichts mehr zu sagen hat außer “Ideologie”: die “Seltenen Erden”, die hauptsächlich in Afrika und Südamerika unter teils haarsträubenden, blutigen Bedingungen abgebaut werden, z.B. Kobalt, Lithium und weitere.

Überall wird Kobalt verwendet, nicht nur in E-Autos. Für die Benzinherstellung ist Kobalt nötig, um das Benzin zu entschwefeln. In täglichen Dingen vom Ceranfeld bis zur Küchenmaschine ist überall Kobalt enthalten.

Maschinen fast jeder Art brauchen Kobalt, weil sie gehärteten Stahl enthalten. Industrielle Prozesse brauchen ebenfalls Lithium, nicht nur E-Autos. Ohne Lithium wäre die Fensterherstellung oder generell das Herstellen von Aluminium nicht möglich. Es sind also nicht nur Akkus, in denen Lithium verbaut wird.

Es ist einseitig und rhetorisch sehr durchsichtig, jetzt die Elektrifizierung im Verkehrssektor als Argument gegen die Verwendung von Seltenen Erden einzusetzen. Industriell werden sie seit langem verwendet, und so gut wie niemand beschwerte sich bislang (leider) über die blutigen Hintergründe. Aber jetzt plötzlich, weil es gerade ins Konzept passt, wird dagegen gewettert?

Inzwischen setzen Akkuhersteller auf immer weniger Kobalt und insbesondere auf Recycling: der Akku eines E-Autos bekommt ein zweites Leben als Hausspeicher für Photovoltaik.

Die weltgrößte Kobaltmine im Kongo schließt, aufgrund mangelnder Nachfrage nach Kobalt.

In Bolivien wird gerade nach einer in Deutschland erfundenen, wesentlich ökologischeren Methode Lithium abgebaut. Durch Handelsverträge profitieren deutsche Firmen davon.

Bolivien soll zwar die größten Vorkommen an Lithium weltweit haben, aber Bolivien gehört noch lange nicht zu den großen Lieferländern und steht erst am Anfang. Spannend ist, dass die sozialistische Morales-Regierung das Land befähigen will, Akkus selbst herzustellen.

Fazit: E-Fuels für private Fahrzeuge sind eine unrealistische und teure Annahme. Wir werden E-Fuels benötigen, aber das wird sich ökonomisch nur dort durchsetzen, wo es keine Alternativen gibt (oder im Auto-Rennsport, wo Geld keine Rolle spielt). Klimaneutrale E-Fuels lassen sich nur herstellen, wenn es einen Stromüberschuss gibt. Diesen Überschuss sollte man direkt in Akkus speichern und nicht für mehrstufige Umwandlungen in E-Fuels vergeuden. Durch die aufwändige Herstellung haben E-Fuels in Autos einen effektiven Wirkungsgrad von nicht mehr als 10 %, E-Autos hingegen über 80 %.

07.10.2022

James Bond - No time to die - Filmkritik

Ich bin seit meiner Schulzeit ein großer James Bond-Fan. Als das Roxy-Kino in Friedberg die gesamte James Bond-Serie brachte (jeden Dienstag für 5 DM), war ich in jedem Film, um sie in der richtigen Reihenfolge zu sehen. Ich kann bei nahezu jedem Film die Dialoge mitsprechen. Ich finde die Mischung aus Spannung, leicht übertriebenen Technikgadgets (ok, unsichtbare Autos waren auch für mich etwas zuviel), Charme und Wortwitz sehr schön.

Zumindest war das der Fall, bis Daniel Craig die Rolle übernahm. Verstehen Sie mich nicht falsch - Daniel Craig ist ein guter Schauspieler. Ich mochte ihn in Tomb Raider, und "Knives Out" ist ein Film, in dem er glänzt, und ich bin auch auf die Fortsetzung im Dezember gespannt. Aber er ist nicht James Bond! Die Rolle passt einfach nicht zu ihm.

Schon Casino Royale war ein krawalliger Actionfilm, aber kein James Bond. Auch wenn die Filme mit Craig als Reboot gedacht waren (Casino Royale ist auch die erste Bondgeschichte von Ian Fleming) und Craig die Entwicklung von Bond darstellen soll, zeigt sich seit dem ersten Film, dass Craig nicht mal im Ansatz den Charakter von Bond spielen kann.

Wegen Corona konnte ich mich nicht überwinden, "No time to die" im Kino zu sehen und habe mir vor kurzem den Film im Heimkino gegönnt. Allein der Zeitabstand zum Kinorelease macht mir im Nachhinein klar, dass ich den Film nur aus Sammelleidenschaft schauen wollte. Doch, wirklich, ich wollte ihn schauen, eben weil ich mich immer noch für einen großen James Bond-Fan halte. Ich hatte keinerlei Erwartungen, und selbst darin hat sich der Film untertroffen.

Die Charaktere bleiben flach und langweilig. Der Film bemüht sich, alte Themen und Personen aufzugreifen, frühere Ereignisse zu erwähnen ("eine Kugel in Ihr Knie. Das gesunde"). Am Ende bleibt es ein Rundumschlag gegen alles, was James Bond und Star Trek ausmachte: am Filmende soll der Status Quo erreicht werden. Keine Hauptperson stirbt, der Bösewicht ist besiegt, vielleicht gibt es eine Andeutung für eine Nachfolge des Oberbösewichts, manchmal stirbt eine nahe Bezugsperson (wie Felix Leiters Frau). In diesem Sinn ist der letzte James Bond mit Daniel Craig Tabula Rasa und zerstört eigentlich alles, was für mich die Seele der Bond-Filme darstellt. In Summe verkrampft sich der Film dabei, möglichst viele Zitate aus früheren Filmen aufzuzählen.

Genau wie bei Doctor Who war es für mich vollkommen schmerzfrei, dass der Darsteller von Bond mehrfach gewechselt hat. Beim Doctor gab es dazu eine Erklärung innerhalb der Serie, bei Bond wurde der Gesichtswechsel gar nicht thematisiert. Auch der Ruhestand von Bond im Alternativ-Bond-Film "Sag niemals nie" ist mit einem Augenzwinkern zu sehen.

Anfang und Ende des Films nehmen starke Anleihen an "Im Geheimdienst ihrer Majestät", in dem Bond heiratet und Blofeld seine Ehefrau auf der Fahrt in die Flitterwochen aus dem fahrenden Auto erschießt. "We have all the time in the world" ist ein großartiges Lied von Louis Armstrong und der Rhythmus passt wunderbar zu dieser deprimierenden Szene. Diese Remineszenz für eine "normale" Autofahrt zu missbrauchen, erscheint merkwürdig. Dasselbe Lied wird am Schluss des Films verwendet, als Madeleine mit dem "anderen" klassischen Bond-Auto Aston Martin V8 Vantage (der DB5 ist eher zerstört) in den Sonnenuntergang fährt.

Der Film ist lang genug veröffentlicht, also nehme ich keine Rücksicht auf Spoiler. Felix Leiter stirbt, Blofeld stirbt, James Bond stirbt. Es gibt einen Maulwurf in den eigenen Reihen, einen verräterischen Wissenschaftler, Verfolgungsjagden mit Auto und Motorrad, aber all das wirkt nur wie Mittel zum Zweck, weil es halt in einem Bond-Film erwartet wird. Mallory droht Bond, weil der angeblich für die "Konkurrenz" CIA aus dem Ruhestand zurückgekehrt ist.

Warum Madeleines Vater ein Auftragskiller ist oder war, warum die Mutter drogensüchtig ist, bleibt im Dunkeln. Die junge Madeleine wird vom Auftragsmörder gerettet, als sie in den vereisten See einbricht, aber was danach mit ihr passiert und weshalb sie "eine Tochter von Spectre" sei, wird nicht erklärt. Wie Blofeld im Gefängnis an ein Hightech-"Bionisches Auge" gelangen konnte, das über Internet Kommunikation ermöglicht, ist enorm unrealistisch. Man sollte doch meinen, dass in einem Hochsicherheitsgefängnis auch Mobilfunkblocker eingesetzt werden, um genau das zu verhindern. Dieser Faux-Pas ist genauso peinlich wie Qs Fehler in "Skyfall", den Laptop Silvas mit einem Netzwerkkabel direkt ans MI6-Netzwerk anzuschließen, was diesem dann die Flucht ermöglicht.

Blofelds Tod durch Bonds Berührung ist fragwürdig. die "verseuchte" Madeleine hat Bond nicht berührt - also werden die Nanobots auch über die Luft übertragen. Der Film stellt es aber so dar, als ob erst die Berührung am Schluss des Verhörs die Nanobots übertragen werden. Die Analogie zu Corona und Aerosolen drängt sich auf.

Die neue weibliche 007 wirkt beim ersten Auftreten arrogant und holt sich Selbstbestätigung aus der Tatsache, dass sie die Nummer 007 bekommen hat. Gegen Ende wirkt sie wie eines der üblichen Bond-Fangirls und gibt sogar die Nummer 007 an ihn zurück.

Am Schluss bleibt: M hat ein geheimes Biowaffenexperiment durchgeführt, um DNA-programmierbare Nanobots zu erschaffen. Auf die Idee, dass die Waffe gestohlen werden könnte, kam er offensichtlich nicht, und das kostet Blofeld, Bond und einer Reihe hochrangiger Spectre-Mitglieder das Leben. Der Wissenschaftler Obruchev kann sich nicht entscheiden, ob er Doppel- oder Dreifachagent ist. Madeleine lügt Bond an, dass Mathilde nicht seine Tochter sei; am Ende ist sie es doch.

Insgesamt ist der Film mit zweieinhalb Stunden viel zu lang geraten und vollgestopft mit Dingen, die gerade nicht Bond ausmachen, aber Daniel Craig als Darsteller konsequent fortsetzen. Insofern ist der Film konsistent mit der Weise, wie Craig Bond in allen seinen bisherigen Filmen darzustellen versucht.

Aufstieg und Fall des "Arrowverse" - Serienkritik

Ich bin seit längerer Zeit großer Fan der miteinander verwobenen Serien des "Arrowverse", benannt nach dem ersten Serienhelden "Green Arrow", wobei die Serie zunächst den Nicht-so-ganz-Helden Oliver Queen nur "Arrow" nennt und "Green Arrow" wesentlich später in die Handlung eingeführt wird. Der Name der TV-Serie bleibt aber über die gesamte Laufzeit derselbe.

Zu diesem Comic-Universum wurden nach und nach mehr Serien und Helden zugefügt, die man auch gut aus den Papier-Comics und teilweise früheren Verfilmungen kennt - Flash, Supergirl, Batwoman, und auch einige B- und C-Promis der Comicwelt, wie "Legends of Tomorrow", "Constantine", "Black Lightning", "Star Girl", und viele weitere haben Gastauftritte, wie z.B. Lucifer. Aus Gastauftritten von Superman in der Supergirl-Serie wurde dann später sogar seine eigene Serie - "Superman und Lois", in der das Super-Leben mit zwei Söhnen beleuchtet wird, ähnlich wie in der 90er-Jahre-Serie "Lois und Clark", die sich auch im Wesentlichen auf das Beziehungsleben von Clark Kent und Lois Lane fokussiert hat. Das Superman-Problem der Woche war dort eher nebensächlich oder wurde nur als Anlass für eine Beziehungsdiskussion konstruiert.

Das für mich besonders Faszinierende an diesen Serien sind die Anspielungen auf Personen, Ereignisse oder Orte, die in den anderen Serien bedeutsam sind. Barry Allen z.B. hat mehrere Auftritte in "Arrow" als Forensiker, noch bevor er zu Flash wird. Die "Ferris Airline" wird mehrfach erwähnt und damit für die Fans angedeutet, dass in diesem Comic-Universum auch Hal Jordan oder andere "Green Lantern" existieren könnten (Spoiler: es gibt Spekulationen, dass John Diggle in der Abschlussfolge von Arrow beim Absturz eines UFOs einen Ring bekommen hat). Dieses übergreifende Prinzip einer "großen" Geschichte funktioniert für mich auch bei der Verfilmung der Marvel-Comics unglaublich gut. Ich finde die Idee mit den Infinitysteinen bei den Avengers einfach großartig, aber ich wollte hier ja über DC und das Arrowverse schreiben ;).

In der weiteren Entwicklung der Serien gab und gibt es sog. "Crossover", das sind fortlaufende Geschichten, in denen Charaktere aus mehreren Serien auftreten und in einer kleinen Fortsetzungsgeschichte ein übergreifendes Problem lösen, das alle betrifft. Zunächst waren dies kleinere Crossover, z.B. zwischen Flash und Arrow, Flash und Supergirl, später dann ein Crossover zwischen Flash und Arrow als Vorbereitung für den Start der neuen "Legends of Tomorrow"-Serie, und die nachfolgenden Crossover umfassten sogar sämtliche der aktuellen Serien.

In diesen Folgen nehmen sich die Charaktere auch gern mal auf die Schippe oder sprengen die "vierte Wand" (den Bildschirm) mit Sprüchen wie "letztes Jahr war ich die Neue" oder "beim letzten Crossover waren die Legends nicht dabei", wie man das bisher nur von "Deadpool" kannte, der einzigen Comicfigur, die sich der Tatsache bewusst ist, dass sie in einem Comic existiert.

Der Spaß an diesen Crossover-Folgen geht dann verloren, wenn durch die deutsche Ausstrahlung der zeitliche Zusammenhang zerrissen wird oder eine bestimmte Serie gar nicht in Deutschland legal zu sehen ist - die letzte Arrow-Staffel ist erst seit August 2021 bei Netflix zu sehen, die den vierten Teil des fünfteiligen Crossovers enthält. Den Anfang und den Schluss konnte man schon letztes Jahr bei Pro7 sehen, die überraschend mit nur wenigen Monaten Abstand die damals aktuellen Staffeln von "Supergirl" und "Legends of Tomorrow" synchronisiert ausstrahlten, und halbwegs zeitlich dazu passend erschien die erste Staffel Batwoman bei Amazon Prime. Mittlerweile kann man alle Serien bei Amazon oder Netflix sehen - leider nicht alle bei einem Anbieter.

Es mag Geschmackssache sein, aber man sollte besser auf Englisch schauen - viele Wortspiele funktionieren im Deutschen nicht besonders gut. Bei Amazon gibt es manche Staffeln nur in einer deutschen Sprachvariante in Prime, andere Sprachen dann nur gegen Bezahlung.

Leider gibt es viele Andeutungen und vorbereitende Szenen, die später aus verschiedenen Gründen nicht weiter verfolgt wurden. In Arrow Staffel 2 gibt es z.B. mehrere Auftritte von Charakteren, die Mitglieder der "Suicide Squad" werden. Prominent wird dabei sogar Harley Quinn angedeutet ("ich habe einen Doktor in Psychologie"), aber leider nicht realisiert, weil kurze Zeit später ein Kinofilm mit ihr gedreht wurde und die Rechteinhaber hier sehr streng zwischen Kino und Serie unterscheiden und trennen. Diese externen Gründe der Rechteinhaber waren auch dafür verantwortlich, dass bei "Smallville" Batman niemals auftauchte und Green Arrow zum inoffiziellen Sidekick des jungen Superman wurde. Detail am Rand aus dem "Crisis"-Crossover: der Superman aus dieser Parallelerde hat seine Superkräfte aufgegeben und lebt als normaler Mensch in Smallville auf der Farm der Eltern.

Umso überraschender, dass im letzten Crossover "Crisis on Infinite Earths", lose angelehnt an das gleichnamige Thema in den Papiercomics, der Schauspieler Ezra Miller des Kino-DC-Universums auftauchen durfte. Gerüchteweise wird umgekehrt der Serien-Flash Grant Gustin im Flash-Kinofilm einen kurzen Auftritt haben - immerhin hat der Kino-Flash die Idee zum Namen "Flash" während des "Crisis"-Crossovers bekommen.

Nun, ich wollte vom "Aufstieg und Fall" schreiben. Die Serie "Arrow" gefällt mir immer noch ausnehmend gut, aber nicht alle Staffeln gleich. Die "Supergegner" mit besonderen Fähigkeiten (Staffeln 2 bis 4) faszinieren mich mehr als die schlicht kriminellen Widersacher der späteren Staffeln (5 und 6). Besonders gut gefallen mir Andeutungen auf kommende Ereignisse, z.B. erwähnt R'as al Ghul schon in der 3. Staffel seinen Schüler Damien Darkh, der dann der Bösewicht in der vierten Staffel und als Teil der "Legion of Doom" in "Legends of Tomorrow" auftritt, und R'as al Ghul selbst wird schon in der ersten und zweiten Staffel angedeutet.

Serien werden auch dadurch strategisch verändert, wenn es Probleme mit Darstellern gibt, wie z.B. dem abrupten Ausstieg von Ruby Rose aus "Batwoman". Dies führte zu Veränderungen in Staffel 2, um das Verschwinden ihrer Figur "Kate Kane" zu erklären und einen Ersatz zu etablieren. Die neue Darstellerin, die die Rolle der Batwoman übernimmt, schlägt sich aber nach einem zähen Beginn eigentlich ganz gut. Die zweite Staffel ist insgesamt recht gut gelungen, mal schauen [Spoiler], wie die chirurgisch wiederhergestellte, gehirngewaschene Kate Kane (andere Schauspielerin) sich als Figur etablieren kann.

Problematisch für mich sind Figuren, die unlogisch oder sinnlos handeln und dadurch offensichtliche Chancen verschenken. Besonders extrem ist dies in der gesamten Flash-Staffel 5 aufgefallen, in der Cicada als Gegner nahezu in jeder Folge mit einem Hilfsmittel hätte besiegt werden können, aber eine oder mehrere Figuren während eines Kampfes tatenlos zusehen, bis er sich wieder aufrappelt und weiterkämpft oder flüchtet. Hier wurde mehr als deutlich, wie schwach die Dramaturgie dieses Gegners geplant war. Natürlich muss die Handlung so ablaufen, dass die üblichen 22 Folgen einer Staffel sinnvoll gefüllt werden, aber es muss für die Zuschauer glaubwürdig sein, wie dies geschieht. Insbesondere haben die S.T.A.R.-Labs einen "Metadämpfer" in Handschellen oder als Halskrause, den Flash in Supergeschwindigkeit anlegen kann. Auch mit "Arrow" habe ich einige Probleme, weil der Charakter von Oliver Queen zu stark den "Einzelkämpfer" mit teilweise sehr fragwürdigen Entscheidungen und Befehlen heraushängen lässt, obwohl es sowohl objektiv als auch durch frühere Erfahrungen klar sein sollte, dass Teamarbeit und effektive Kommunikation essenziell für erfolgreiche Aktionen sind.

Arrow und die anderen Serien wurden ab 2010 bislang hauptsächlich für das altmodische lineare Fernsehen produziert, und die Zuschauerzahlen einer Staffel entscheiden über die Verlängerung des nächsten Jahres. Nach und nach wurden nun mehrere Serien wieder eingestellt, die letzten Opfer von Absagen sind nun auch Flash, Batwoman und Legends of Tomorrow geworden. Die einzige "Neugründung" ist die Serie "Superman und Lois" als Ableger der Supergirl-Serie, die aber vermutlich auch keine vierte Staffel erleben wird. "Titans", "Doom Patrol" und "Stargirl" existieren trotz der "Crisis" nach wie vor in Paralleluniversen, wie man am Abspann des fünften Teils des Crossover sehen konnte. Nun gut, "Lucifer" hat auch noch eine sechste Staffel bekommen, aber es wird wohl keinerlei Crossover oder ähnliches mehr geben (abgesehen davon, dass Lucifer mehrfach seine Begeisterung für die TV-Serie "Bones" erwähnt und seine Tochter Chloe von "More Bones" mit Androiden in der Zukunft schwärmt). Die neue Serie "Naomie", die ganz lose ebenfalls im DC-Universum spielte, wurde nach nur einer Staffel schon wieder eingestellt, und derzeit gibt es keine legale Möglichkeit, diese Serie in Deutschland zu sehen.

Bei Streaminganbietern wie Netflix oder Amazon gibt es diese kurzfristige Sichtweise von Staffel zu Staffel nicht. Bei Netflix ist bekannt, dass die ersten Staffeln einer Serie relativ günstig lizensiert werden. Erst ab der dritten oder vierten Staffel wird Netflix mit höheren Lizenzkosten konfrontiert (z.B. von Marvel oder DC) und dies führt häufig zur Einstellung der Serie, wenn Netflix diesen Kostensprung nicht tragen will. Dies dürfte der Grund für das schnelle Ende von Serien wie "Jessica Jones", "Luke Cage", "Daredevil", "Punisher", "Iron Fist" oder "The Defenders" gewesen sein. Wie weiter oben schon erwähnt, führten Lizenzfragen auch zur Einstellung der "Daredevil"-Serie, weil die Gründung von Disney+ bevorstand und Disney die Figuren von Kingpin und Daredevil für eigene Filme und Serien verwenden wollte.

Umgekehrt kann es aber auch sein, dass Netflix hohes Interesse sieht und Serien dann länger produziert als ursprünglich geplant, wie es z.B. bei "Lucifer" aufgrund von massiven Protesten der Konsumenten geschehen ist, oder auch bei "Manifest", wo Netflix noch eine vierte Staffel produzieren lässt. Zunächst war Lucifer für Einstellung nach der dritten Staffel vorgesehen, wurde dann von Netflix übernommen und sogar nach und nach bis zur sechsten Staffel verlängert (nur in Deutschland läuft Lucifer bei Amazon in Lizenz).

Ein Fazit fällt mir schwer. Es gibt starke und schwache Handlungsbögen (Staffeln) bei allen Serien, je nachdem, wie gut und nachvollziehbar der jeweilige Bösewicht handelt. Ein Teil der Einstellungen ist sicherlich aufgrund finanzieller Erwägungen geschehen als Folge von schwachen Drehbüchern. Andererseits wurden Serien wie Arrow und Flash auch durch Lizenzentscheidungen beschädigt, als die Lizenzgeber in Kinofilmen oder einer eigenen Streamingplattform lukrativere Chancen sahen (Suicide Squad bzw. Disney+).

Insgesamt lebt(e) das Arrowverse davon, dass es Verbindungen zwischen den Serien gab und z.B. neu aufgelegte Serien schon frühzeitig angedeutet wurden (die Explosion bei Star Labs war eine Nachrichtenmeldung in Arrow, Flash befreit Arrow aus R'as al Ghuls Festung, Star Labs liefert Technik an Black Lightning, Argus liefert Technik an General Lane uvm.). Durch die Einstellung der Serien und die Entfernung von Figuren aus Lizenzgründen hat für mich die Glaubwürdigkeit des Gesamtkunstwerks deutlich gelitten. Flash und Supergirl leiden darunter, dass in vielen Folgen das Beziehungsdrama viel stärker gewichtet wird als die eigentliche Superheldenhandlung - besonders krass bei Flash. Iris West-Allen ist m.E. die meistgehasste Figur bei den Fans.

Für mich nach wie vor das Highlight aller Serien ist "Arrow". Die Rückblicke - immer 5 Jahre - passen dramaturgisch zur jeweils aktuellen Handlung und geben gleichzeitig Auskunft über die Entwicklung vom Playboy zum Vigilanten. Der Schluss der Rückblicke der fünften Staffel geht nahtlos und perfekt in den realen Anfang der ersten Staffel über - man kann also nach der fünften Staffel sofort wieder bei der ersten Staffel anfangen zu schauen.

Dicht gefolgt in meiner persönlichen Hitliste wird Arrow von "Legends of Tomorrow", die mit jeder Staffel mehr skurrilen Humor und Referenzen auf die Popkultur in das Serienuniversum bringen, z.B. die Erwähnung von "Supernatural" und der Besuch des Drehorts in einem Paralleluniversum. Dort mag ich besonders gern "John Constantine", und es gibt mir durchaus Befriedigung, dass es nach dem abrupten Ende seiner eigenen Serie nach nur einer Staffel wenigstens bei den "Legends" ein Happy End für Astra Logue gibt, die nicht mehr in der Hölle gefangen ist.

Das Fazit fällt aber immer mehr negativ aus. Die neue Superman-Serie spielt in einem Alternativ-Universum und nicht (mehr) in "Earth Prime", so dass hier bequem auf Konsistenz zu anderen Serien verzichtet werden kann. John Diggle hat zwar einen zweiten Gastauftritt und [Spoiler] verzichtet darauf, die geheimnisvolle Kiste zu öffnen, die er am Ende der letzten Arrow-Folge bekommen hat. Er wählt seine Familie statt eines ungewissen Abenteuers. Damit ist vermutlich die Chance auf eine John-Diggle-Green Lantern dahin und alle bisherigen noch offenen Anspielungen werden wir auch nicht mehr erleben. Die privaten Beziehungen der Charaktere haben bei allen Serien einen zu hohen Stellenwert. Dadurch werden zwar auch oft mehr oder weniger subtil, manchmal auch mit dem Vorschlaghammer, aktuelle politische und gesellschaftliche Themen problematisiert, wie z.B. Gleichberechtigung, sexuelle Orientierung, Rassismus, LGBTIQ, aber es wirkt nicht organisch integriert, sondern eher gekünstelt in die Serie aufgenommen, weil es gerade Mode ist. Die beste Integration von LGBTIQ war in Umbrella Academy das "Coming Out" von Viktor in Staffel 3 als trans (FtM). Es gibt eine kurze Feststellung, die anderen Geschwister nehmen es zur Kenntnis und fertig. Halbwegs geschmeidig funktioniert das LGBTIQ bei den "Legends", als Sarah Lance zunächst mit Oliver Queen liiert war und dann nach einem kurzen Techtelmechtel mit Supergirls Stiefschwester Alex (im Earth X-Crossover) dann den Klon Ava heiratet.

13.09.2022

"Alle anderen Wissenschaftler sind unwissend" - Leserbrief

Auf meinen Leserbrief mit der Überschrift "Alle relevanten Wissenschaftler sind sich einig" kam eine kurze Antwort, dass ich damit allen anderen Wissenschaftlern ihre Kompetenz und ihr Wissen abspreche. Nur: die Umkehrung meiner Aussage ist dem Schreiber nicht gelungen. Er hat etwas vollkommen anderes als Umkehrung behauptet und versucht, dies dann zu kritisieren.

Hier meine kurze Antwort darauf:

[veröffentlicht am 13.09.2022]

Hr. D. versucht, mir Dinge in den Mund zu legen, die ich nicht gesagt und nicht gemeint habe. Ich würde mir weniger persönliche Angriffe und Unterstellungen wünschen und mehr sachliche Auseinandersetzung.

Meine Aussage war “Alle relevanten Klimawissenschaftler sind sich einig, dass die Klimakatastrophe menschgemacht ist”.

Hr. D. versucht sich an der Umkehrung dieses Satzes und scheitert damit kläglich. Die Umkehrung ist nicht, dass Wissenschaftler, die eine andere “Meinung” haben, unwissend wären.

So funktioniert Wissenschaft nicht. Es geht nicht um “Meinungen”, sondern um Fakten. Alle relevanten Wissenschaftler haben die vorhandenen Tatsachen geprüft und die konkrete Schlussfolgerung daraus ist, dass die Klimakatastrophe definitiv menschgemacht ist.

Meine Kritik an der derzeitigen Pseudodiskussion ist, dass Laien, die nicht auf diesem Gebiet forschen, Behauptungen aufstellen, die den bekannten und anerkannten Fakten widersprechen. Diese vehemente Ablehnung von Fakten hat kurzsichtige wirtschaftliche Gründe und den Erhalt der persönlichen Bequemlichkeit als Ziel.

Jeder Wissenschaftler ist ein Experte auf seinem Gebiet - die Betonung dabei ist: auf seinem Gebiet. Wer der aktuellen, gut belegten Forschung widersprechen will, muss dazu enorm schlagkräftige Fakten auf den Tisch legen, die den herrschenden Konsens erschüttern können. Dazu gehört Erfahrung - die wird üblicherweise durch Veröffentlichungen in der Fachpresse und die Anzahl von Zitaten durch Fachkollegen nachgewiesen. Es reicht nicht, einen Leserbrief zu schreiben und mit hastig zusammengesuchten Formeln aus der Formelsammlung der zehnten Klasse zu behaupten, dass CO2 harmlos sei.

Schlichte Erkenntnis: Verwechseln Sie nicht Meinung und Fakten.

10.09.2022

Das Wörterbuch der Querdenker - Leserbrief

[veröffentlicht am 10.09.2022]

[Update: Altmaier ist CDU, nicht CSU]

Herr B. hat keinen Leserbrief geschrieben, sondern ein Wörterbuch der Querdenker. Darin ist nun wirklich alles enthalten, was im Moment die rechte Volksseele zum Kochen bringt - die Essenz aller Verschwörungstheorien von Telegram. “woke”, “cancel culture”, “Freiheit”, “Eliten”, und natürlich darf “Winnetou” auch nicht fehlen.

Genau wie andere Kommentatoren in der WZ vom 29.08. zeigt er, dass man viel Meinung haben kann, selbst wenn es dazu keine oder kaum Fakten gibt.

Die ARD hat die Filmrechte 2020 nicht verlängert, weil die Einschaltquoten zu schlecht waren. Sofort danach hat das ZDF zugegriffen und sich die Rechte gesichert. Zumindest bei den Filmen hat sich der Vorwurf “cancel culture” also schon mal erledigt.

Der Verlag hat das Buch zum Film “Der junge Winnetou” zurückgezogen und begründet dies mit “negativen Rückmeldungen” wegen (u.a.) “kultureller Aneignung” (z.B. deutsche Schauspieler im Film). Dazu kann man sich eine differenzierte eigene Meinung bilden oder mit dem Holzhammer aus dem Wörterbuch der Querdenker sofort “cancel culture” schreien. Die “negativen Rückmeldungen” kamen übrigens vom Testpublikum, Journalisten und Historikern, noch vor der Veröffentlichung des Films. Trotzdem gab es keinen “Zwang”, das Buch zurückzuziehen.

Eine genaue Analyse des im Wesentlichen von der “Bild”-Zeitung initiierten angeblichen “Shitstorms” findet sich z.B. hier. Spoiler: es gab gar keinen Shitstorm gegen den Verlag, bevor die “Bild”-Zeitung ihn losgetreten hat. Zitat: “Absahnen tut vor allem der Springer-Verlag. Die Datenanalyse zeigt, dass das Thema massiv von „klassischen“ Medien getrieben wird, also von Tageszeitungen, News-Portalen, Nachrichtenagenturen und Online-Medien, in denen ausgebildete Journalisten sitzen.”. Fazit: es geht nur um’s Geld durch Aufmerksamkeit (Klicks und Werbung) und überhaupt kein bisschen um das eigentliche Thema.

Man mag Karl May mögen oder nicht, aber eine 140 Jahre alte Buchreihe voller Stereotypen und Klischees über “gute” und “böse” Indigene sollte man heutzutage nicht mehr verherrlichen, nur weil man es als Jugendlicher unreflektiert konsumiert hat und immer noch “im Bücherregal stehen” hat. Die Bücher und die Filme der 60er Jahre sind nur sehr lose verbunden, die Filme wurden sehr “frei” nach Karl May gedreht.

In seinem Rundumschlag vergisst Hr. B. auch nicht zu erwähnen, dass der “Sozialismus” im Prinzip an allem schuld ist. Westdeutschland hat sich als Staat mit “Sozialer Marktwirtschaft” gegründet, aber die letzten 40 Jahre hat fast nur die rechtskonservative CDU (mit-)regiert - also im Westen wenig Sozialismus, und die kurze Zeit Schröders war eine Sternstunde des Neoliberalismus. Traurig, dass er die Ironie nicht erkennt, wenn er den Staat der ehemaligen DDR bejubelt und sich dabei nicht bewusst ist, dass die DDR gemäß ihrer eigenen Verfassung formell ein sozialistischer Staat war.

Die Energiewende hat im Wesentlichen Altmaier (CSUCDU) vermurkst, als er das bis dahin passable EEG von 2012 an so kaputt reformierte, dass in der deutschen Industrie für Windkraft und Solar zusammen über 120.000 Arbeitsplätze verloren gingen (zum Vergleich: die Kohleindustrie hatte und hat um die 25.000 Arbeitsplätze). Jetzt die neun Monate alte Ampelregierung für Versäumnisse der letzten 20 Jahre verantwortlich zu machen, ist reichlich unterkomplex - wobei mich das bei Querdenkern auch eher wenig wundert. Hier werden gern einfache Erklärungen für schwierige Themen gesucht, Hauptsache, sie klingen gut, selbst wenn sie noch so falsch sind.

Mein Fazit: Medienkompetenz sollte nicht nur in der Schule als Querschnittsthema in allen Fächern sinnvoll gelehrt werden. Auch die Welt der Erwachsenen, die die Schule länger hinter sich haben, hat hier deutlichen Nachholbedarf bei der Bewertung von Themen, die von interessierten Gruppen hochgepeitscht werden.

27.08.2022

Ethanol und andere E-Fuels - Leserbrief

Die Rentner aus der Autozulieferindustrie verlangen "mathematische" Beweise für den Klimawandel. Schlimmer wird's heute nicht mehr.

Hoffe ich.

Hier meine Antwort auf den Leserbrief von Hr. F.

[veröffentlicht am 27.08.2022]

Der Leserbrief von Hr. F. ist ein trauriges Beispiel für selektive Wahrnehmung, verbunden mit aktiver Wissenschaftsleugnung, und von persönlichen Unterstellungen.

Hr. F. ist, soweit ich weiß, im Ruhestand und war lange Vorstand eines Autozulieferers. Ich unterstelle deshalb einen gewissen Unwillen, sich mit gegensätzlichen Positionen ergebnisoffen zu beschäftigen.

Ich weiß entgegen seiner Unterstellung, dass in Südamerika PKW mit Ethanol fahren, da diese ab Werk entsprechend gebaut werden (z.B. von Ford und VW). Der Großteil der PKW-Flotte in Deutschland, knapp 48 Mio. Fahrzeuge, ist technisch nicht für höhere Ethanolbeimischungen als E10 geeignet, und deswegen sind teure E-Fuels nicht für den Individualverkehr geeignet. Genau das war die Erkenntnis des Opel-Versuchs - es ist technisch möglich, wenn man massive Änderungen am Motor vornimmt. Welche Veränderungen das sein müssen, ist unerheblich: es geht um die schiere Anzahl der vorhandenen PKW. Und: E-Fuels werden in der Herstellung um die 5 € pro Liter kosten, Verkaufspreis dann 8-10 €?

Der Alkohol für den südamerikanischen Markt wird durch Biovergärung aus Mais und Zuckerrohr gewonnen. Für deren Anbau werden gigantische Flächen Regenwald gerodet. Auch diesen gleich zweifach ethisch relevanten Nebeneffekt erwähnt Hr. F. nicht in seiner Betrachtung - Rodung und Fehlnutzung von Lebensmitteln.

Die Klimaschädlichkeit von CO2 ist seit 1824 empirisch bekannt (Fourier), und wurde 1850 (Foote), 1862 (Tyndall) und 1896 (Arrhenius) weiter wissenschaftlich untermauert, wie man hier z.B. bei ARD alpha detailliert nachlesen kann, oder auch bei Hoimar von Ditfurth schon 1978 hören kann.

Im Übrigen muss die Klimakatastrophe nicht von Mathematikern “bewiesen” werden, sondern wurde oft genug von Klimawissenschaftlern erforscht und bestätigt. Es ist erschreckend, heutzutage noch solches Leugnen von Tatsachen zu lesen. Meinungsfreiheit ja, aber kein Recht auf Faktenfreiheit!

China baut (leider) neue Kohlekraftwerke, allerdings unterschlägt Hr. F., dass infolge der Neubauten mehrere Hundert alte, dreckigere Kraftwerke abgeschaltet werden. Das ist netto immer noch nicht gut, aber es ist eine deutliche Verbesserung zum vorherigen Ausstoß.

Hr. F., bitte unterlassen Sie rhetorische Tricks, dass die Grünen ein “psychologisches Problem” “brutal” ausnutzen. Angst ist ein wesentlicher Antrieb der Evolution, aber es ist ein Unterschied, ob Angst auf Fakten oder Gefühlen basiert. Der Atomausstieg wurde von der CDU/FDP beschlossen, nicht von den Grünen. Wenn Sie die Existenz der Klimakatastrophe ablehnen, ignorieren Sie wissenschaftliche Fakten. Wer in der Diskussion das Wort “ideologisch” verwendet, hat keine Fakten auf seiner Seite und spricht umgekehrt dem Diskussionsgegner die Kompetenz ab.

Es ist erschütternd, dass sich mittlerweile alle relevanten Wissenschaftler einig sind, dass wir wegen CO2 auf eine weltweite Erwärmung hinsteuern, die die Erde unbewohnbar machen könnte, und die Leugner dieser Tatsachen sind hauptsächlich Laien. Warum sollten wir im Angesicht von Fluten, Dürren, Hitzewellen, Stürmen und anderen Wetterereignissen auf Menschen hören, die in der Diskussion die harten Fakten nicht akzeptieren wollen und stattdessen lieber Personen angreifen?

Wen wollen Sie mit dem leeren Wort “händelbar” beeindrucken? Es gibt weltweit noch kein Endlager für radioaktiven Müll, obwohl wir schon Hunderte von Milliarden Euro in die Kernkraft gesteckt habe. Kernkraft ist mit Folgekosten die teuerste Art, Strom zu erzeugen.

Natürlich ist die Radioaktivität des Restmülls über Millionen von Jahre hinweg ein Problem und kein “Totschlag-Argument”. Wenn es so toll “händelbar” ist, dann lagern Sie bitte den Restmüll in Ihrem Vorgarten. Tote aus Verkehrsunfällen gegen Kernkraftunfälle aufzurechnen ist höchst unredlich. Ein Tschernobyl-ähnlicher Unfall im dicht besiedelten Deutschland macht Landstriche von Hunderten Kilometern Umkreis unbewohnbar. Lesen Sie doch mal in Ihrer Hausratversicherung, ob Schäden oder Umzug durch Kernkraftunfälle abgedeckt sind.

Jeder Euro, den wir jetzt noch in fossile Brennstoffe und Kernkraft investieren, ist verschwendet, weil das Ende dieser Technologien absehbar ist.

26.08.2022

Vortrag: Förderverein der Wölfersheimer Schulen "Schüler und neue Medien"

Die letzten Jahre habe ich die Vorträge im Rahmen von elan angeboten, dieses Jahr im Namen des Fördervereins der Wölfersheimer Schulen, in dem ich Schriftführer bin. Zu den Themen "Datenschutz", "Privatsphäre" und "Digitale Selbstverteidigung" schreibe ich seit langem und halte Vorträge bzw. Videokonferenzen, z.B. hier und hier zum Nachlesen.
 
Zum Schuljahresbeginn ein wichtiger Informationsvortrag zum Thema „Umgang mit neuen Medien“ für alle Eltern an, deren Kinder ein Smartphone bekommen sollen. Der Vortrag kann bequem als Videokonferenz verfolgt werden. Er enthält einen Überblick über die Risiken und die Möglichkeiten, denen die Kinder und Jugendlichen mit dem „Internet in der Hosentasche“ begegnen. Begriffe wie TikTok, WhatsApp, In-App-Käufe, Soziale Netzwerke, Mobbing, Sexting, Grooming werden ebenfalls besprochen.
 
Nach dem Vortrag können gern Fragen gestellt werden.
 
Dieser kostenlose Vortrag ist eine Informationsangebot des Fördervereins der Wölfersheimer Schulen. 
 
Der Termin: 30.08.2022 19.30 Uhr-21.30 Uhr
Einloggen über: senfcall.de

Wir freuen uns über Ihre Teilnahme!
Thomas Seeling
Förderverein der Wölfersheimer Schulen

12.07.2022

Das Märchen von den e-Fuels - Leserbrief

[veröffentlicht am 12.07.2022]

Diverse fachfremde und offensichtlich wissenschaftsferne Politiker wie z.B. der Finanzminister werfen immer gern das Wort "Technologieoffenheit" in den Raum, wenn ihnen oder einer interessierten Lobby die bereits vorhandenen, einsetzbaren Lösungen nicht gefallen.

Besonders massiv fällt dies im Moment auf, wenn Lindner und der VDA davon träumen, dass Neuwagen mit Verbrennermotor länger eine Neuzulassung erhalten sollen als die EU und selbst die Autohersteller planen.

Generell ein paar Anmerkungen hierzu: nahezu alle großen und kleinen Autohersteller haben sich mit dem Umstieg auf E-Autos abgefunden, der Zeitrahmen geht von 2024 (DS) über 2025 (Jaguar), 2026 (Audi), 2028 (Opel), 2030 (Fiat, Bentley, Volvo, Cadillac, Ford), 2031 (Mini), 2033 (VW) bis 2035 (Hyundai), dem Ende der Neuzulassungen nach den aktuellen EU-Plänen. Deshalb ist es so überraschend, dass sich der VDA mit dem Cheflobbyisten Wissmann (früherer Verkehrsminister) so massiv für e-Fuels einsetzt. Auch der Spiegel findet diesen Lobbyismus nicht gut. Vermutlich breitet sich eher bei den Zulieferbetrieben Panik aus.

Der Otto- bzw. Dieselmotor als Antriebsquelle für den Individualverkehr ist "ausentwickelt", es gibt keine wesentlichen Verbesserungen mehr zu erfinden, die rechtzeitig auf den Markt kommen könnten. Die Hersteller versuchen jetzt noch, mit kleinen Tricks die Emissionen zu verringern, aber niemand kann an den physikalischen Grundlagen rütteln. Ein Ottomotor hat einen Wirkungsgrad von ca. 30 %. Mehr als Zweidrittel der Energie, die man aus fossilem Sprit gewinnen könnte, verpuffen als Wärme und müssen aufwändig abgeleitet und entsorgt werden. Es gibt zwar Wärmekraftmaschinen wie den Stirling-Motor mit einem Wirkungsgrad von 80 %, aber nicht als Antrieb für Autos. Ein E-Auto erreicht diesen Wirkungsgrad!

Gasthermen als Heizung erreichen rechnerisch einen hohen Wirkungsgrad, weil sie die Abwärme aus dem "Auspuff" ebenfalls verwerten können. Die Abwärme bei Automotoren verpufft buchstäblich.

Wir müssen uns davon trennen, flüssige Brennstoffe zu verwenden, die nicht vollständig klimaneutral hergestellt wurden. Die grundlegende chemische Tatsache ist: ein Liter Diesel verbrennt zu 2,6 kg klimaschädlichem CO2.

Das umfasst auch die eingangs erwähnten e-Fuels, also Brennstoffe, die mit elektrischer Energie hergestellt wurden. Die Fabrik, die z.B. Porsche mit Exxon in Chile für 500 Mio. Liter e-Methanol pro Jahr plant, stellt eine Form von Alkohol her, der nur als Beimischung zu maximal 40 % verwendet werden kann ("blending").

Durch die aufwändige Herstellung aus Wasserstoff und CO2 und den Strombedarf ergibt sich insgesamt bei der Verwendung in Autos ein Wirkungsgrad von ca. 10 % (Quelle: ADAC), also nochmals einen gigantischen Faktor schlechter als bei der Verwendung von raffiniertem Erdöl. Auch der Wasserstoff als Zwischenprodukt muss zunächst unter Einsatz von immensen Strommengen durch die Aufspaltung von Wasser hergestellt werden. Um die linksgrüne Kampfzeitschrift "Auto Motor Sport" zu zitieren: "e-Fuels verursachen 4-fache CO2-Emissionen" und "e-Fuels sind zu ineffizient und zu teuer".

e-Fuels und Wasserstoff sind in gewissem Umfang sinnvoll in Situationen, in denen man Treibstoff braucht, aber nicht im Individualverkehr. Durch die Herstellung sind e-Fuels viel zu teuer für die Verwendung in Autos, gerade, wenn man nicht genügend umweltfreundlichen Strom hat, weil z.B. die Atomkraftwerke wegen Wassermangel abgeschaltet werden müssen

Opel hat einen Prototypen auf e-Fuel umgerüstet, laut Pressemitteilung mit "massiven Veränderungen" am Motor. Technisch ist es möglich, aber industriell und in großem Maßstab sinnlos und zu teuer. Zudem sind wasserlösliche e-Fuels (Alkohole wie 2-Butanol) bei Unfällen eine große Umweltkatastrophe.

Wenn man bedenkt, wie groß der öffentliche Aufschrei war, als das E10-Benzin mit einer Beimischung von Ethanol eingeführt wurde, bin ich gespannt darauf, wie man den Autobesitzern nun die Verwendung von e-Fuels verkaufen will, wenn das nur mit starken Veränderungen am Motor möglich sein wird.

Fracking ist keine gute Idee - Leserbrief

[gekürzt veröffentlicht am 08.07.2022]

Hr. F. gibt sich nun genau wie Jens Spahn als Experte für Energiewirtschaft aus, und die Glosse vom Dienstag von Hr. Astanasiadis schlägt in dieselbe Kerbe. Voller Selbstvertrauen schreibt Hr. F. in seinem Leserbrief, dass “sämtliche Gutachten” dem Fracking (kurz für “Hydraulic Fracturing”) die Harmlosigkeit bescheinigen und schwärmt von der riesigen Menge an Gas im deutschen Schiefergestein. Die Glosse fordert, es dürfe keine “ideologischen Denkverbote” für Fracking und Atomkraft geben.

Das sind ganz schön mutige Aussagen, wenn ich auf der Seite des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz finde: “Am 11. Februar 2017 ist ein Gesetzes- und Verordnungspaket in Kraft getreten, durch das die Erdgasgewinnung in Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein (sogenannte unkonventionelle Fracking-Vorhaben) aufgrund der fehlenden Erfahrungen und Kenntnisse in Deutschland grundsätzlich verboten ist. Lediglich zu wissenschaftlichen Zwecken können die Bundesländer bundesweit maximal vier Erprobungsmaßnahmen im Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein zulassen. Dafür sind strenge Bedingungen vorgesehen. Ebenso werden an das sogenannte konventionelle Fracking in anderen Gesteinen strenge Anforderungen gestellt.”

Bislang war keine wissenschaftliche Auswertung dieser Probebohrungen möglich, weil “die für entsprechende Forschungsbohrungen in Frage kommenden Bundesländer, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, das Fracking im Schiefergestein ablehnen.” - Tja, warum nur?

Entgegen seiner Behauptung über “sämtliche Gutachten sind positiv” finde ich nach kurzer Recherche genau gegensätzliche Untersuchungen:

“Eine Auswertung der im Zeitraum 2009 bis 2015 veröffentlichten rund 685 Studien und Berichte zum Thema Fracking, ergab folgendes Bild:

  • 84 Prozent der Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen wiesen auf potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit oder tatsächlich beobachtete negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit hin;
  • 69 Prozent der Studien zur Wasserqualität zeigten potenzielle oder ein tatsächliches Auftreten von Wasserkontaminationen
  • 87 Prozent der Studien zur Luftqualität wiesen auf erhöhte Luftschadstoffemissionen und/oder eine erhöhte Konzentration in der Atmosphäre hin.”

Wenn neben den beim Verbrennen entstehenden CO2-Emissionen auch die bei Förderung, Transport und Lagerung anfallenden Methanleckagen berücksichtigt werden, fällt die Klimabilanz von Erdgas – insbesondere von gefracktem Erdgas – so schlecht wie die von Kohle aus.

Berechnungen zufolge ist gefracktes Gas für mehr als die Hälfte des globalen Anstiegs der Emissionen aus fossilen Brennstoffen sowie für etwa ein Drittel des Anstiegs aus allen Quellen in den letzten zehn Jahren verantwortlich.

Nebenbei benötigt das Fracking unglaubliche Mengen an Wasser, um unter hohem Druck und Zusetzung von teilweise höchst gefährlichen Chemikalien Gesteine aufzubrechen, um das darin enthaltene Gas zu extrahieren. Für jede Bohrstelle ist soviel Wasser nötig, wie eine mittlere Großstadt pro Tag verbraucht (ca. 175.000 m3).

Offensichtlich greift Hr. F. verzweifelt nach jedem Strohhalm, damit sein Leben so weitergehen kann wie bisher. Genau wie in seinem letzten Leserbrief zur Atomkraft sind ihm die Auswirkungen auf die Umwelt und die Gefahren vollkommen gleichgültig.

Wir müssen endlich aufhören, fossile Brennstoffe aus dem Boden zu holen, die dem atmosphärischen Kreislauf Millionen von Jahren entzogen waren. Wir sehen heute die Erwärmung der Atmosphäre durch die CO2-Emissionen von vor ca. zehn Jahren (390 ppm). Die Auswirkungen von 420 ppm CO2 (heutiger Stand) werden wir erst in zehn Jahren erleben, und sie werden nicht schön sein.

Zum Abschluss nochmals zur Atomkraft: die Betreiber haben schon mit dem Abbau der Bauwerke begonnen, z.B. werden keine Sicherheitsüberprüfungen mehr durchgeführt. Auch werden schon mit aggressiven Reinigungsmitteln Dekontaminationsmaßnahmen durchgeführt, die das Material angreifen. All das müsste rückgängig gemacht bzw. repariert werden, bevor nur an einen Weiterbetrieb zu denken ist. Die jetzigen Brennstäbe haben eine kalkulierte Lebenszeit und Kapazität bis Ende 2022 und werden für jedes Kraftwerk speziell hergestellt. Die Lieferzeit für eine Neubestellung betrüge dadurch 18 bis 24 Monate.

Abgesehen davon haben wir kein Energieproblem, sondern ein Wärmeproblem: Strom ist genug da, aber mit Atomkraftwerken können wir nicht heizen.

09.06.2022

Selbsttäuschung als Ausweg aus der Klimakatastrophe

Ein weiterer Leserbrief behauptet, dass Deutschland nicht aus der Kernkraft aussteigen soll. Herr F. findet, dass wir mehr kaputte Atome brauchen. Auf Bagatellen wie Versicherung, Gefahren oder Atommüll geht er nicht weiter ein - das sind vermutlich alles Probleme für nachfolgende Generationen?

All diese hilflosen Versuche sind Symptome einer Flucht vor der Wirklichkeit und ignorieren, wie aufwändig es wäre, bestehende Kernkraftwerke weiter zu betreiben oder neue zu bauen. Atomstrom ist, wenn man alle Folgekosten betrachtet, die teuerste Option. Statista hat eine Aufstellung über die Kosten der verschiedenen Arten der Stromerzeugung:

Atomkraft

37,8 ct/kWh

Braunkohle

25,5 ct/kWh

Steinkohle

23,3 ct/kWh

Solar

22,8 ct/kWh

Wind Offshore

18,5 ct/kWh

Wind Onshore

8,8 ct/kWh

Selbst wenn man annimmt, dass das Ausmaß der Klimakatastrophe verstanden wurde - was ich bezweifle - ist die Forderung nach mehr Kernkraft ein Zeichen für ein "weiter so". Man verschiebt die vermeintliche Lösung des Problems immer weiter in die Zukunft, damit jetzt in der Gegenwart keine Einschnitte nötig sind. Das ist Raubbau auf Kosten unserer Kinder. Ein Großteil der Brennstäbe kommt aus Russland. Wollen wir Putin noch mehr Geld für Kriege geben?

Die Befürworter von Kernkraft wollen nicht akzeptieren, dass der Zeitrahmen für wirksame Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe zu kurz ist, um neue Kernkraftwerke zu bauen und damit fossile Brennstoffe stark genug zu reduzieren. Wir sollten kein Geld in die Zukunft verschieben, das wir jetzt brauchen, um erneuerbare Energien auszubauen.

Ein neues Kernkraftwerk hat eine Bauzeit von zehn bis fünfzehn Jahren, und wenn ein Feldhamster gesichtet wird, dauert es nochmals fünf Jahre länger.

Wir haben aber insgesamt nur noch 5 Jahre Zeit, und selbst diese Zeitspanne garantiert uns nur ungefähr eine Zweidrittel-Chance, unter dem Ziel von 1,5 ° C zu bleiben, das im Pariser Abkommen 2015 festgelegt wurde. Zur Erinnerung: Deutschland hat dieses Ziel ratifiziert, es hat also Gesetzeskraft. Nur leider handelt man nicht danach.

In Frankreich sind mittlerweile die Hälfte aller Atomkraftwerke abgeschaltet, größtenteils langfristig wegen schwerer Baumängel, teilweise wegen Wassermangel für die Kühlung - auch diese Trockenheit ist eine Folge der Klimakatastrophe.

Über Pfingsten lag der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung in Deutschland bei über 70 %, Deutschland konnte zu einem guten Preis von über 10 ct/kWh Strom ins Ausland verkaufen. So schwer kann es also nicht mehr werden, den Anteil noch weiter zu steigern. Der Schritt der Ampel, länderspezifische Abstandsregeln zu verbieten, ist ein richtiger und überfälliger Schritt, um die Fortschrittsverhinderer Söder in Bayern und die AfD in Thüringen einzubremsen.

Selbst eine globale Erwärmung um "nur" 1,5 ° C hat schon gravierende Auswirkungen, die uns teuer zu stehen kommen werden. Die letzten Jahre waren in Deutschland ungewöhnlich heiß und trocken. In Indien, Pakistan, Afrika und Südamerika gibt es Hitzewellen mit über 50 ° C. Die Schwankungen des Wetters, d.h. die extremen "Ausreißer" zu beiden Seiten, werden immer stärker.

Die "National Oceanic and Atmospheric Administration" NOAA, die Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA, hat einen erschreckenden Vergleich der auf uns zukommenden Probleme erstellt:

5 ° C

Ein Großteil der Erde wird unbewohnbar

4 ° C

Hunderte überschwemmte Städte

3 ° C

Dürren und Hungersnöte für Milliarden Menschen

2 ° C

Tödliche Hitzewellen und Essensknappheit

1,5 ° C

Hitzewellen, Fluten, Dürren

1 ° C

Instabile Lebensmittelversorgung

0,5 ° C

Mehr extreme Wetterereignisse

Was wir anstatt von Kernkraftwerken brauchen, sind kurzfristige Maßnahmen, um fossile Verbrennung zu reduzieren:

  • Photovoltaik auf alle öffentlichen Gebäude
  • Mehr Windkraftanlagen statt Verhinderung wie in Thüringen oder Bayern
  • Luftfiltergeräte mit Wärmetauschern in Schulen statt Lüften
  • Billiger, gut getakteter ÖPNV
  • Weniger Individualverkehr
  • Mehr Homeoffice, wo immer möglich
  • Weniger LKW
  • Güter auf die Schiene

02.05.2022

Zurück zur Kernenergie? - Leserbrief

Die Diskussion um die Energieversorgung in Deutschland hat durch den Ukraine-Konflikt einen neuen Impuls bekommen. Immer mehr Stimmen fordern, Atomkraftwerke nicht abzuschalten, oder wieder in Betrieb zu nehmen oder sogar neu zu bauen. Einer der energischsten Verfechter schreibt dazu Leserbriefe. Auf den ersten davon antwortete ich. Nach einem ersten Widerspruch eines anderen Leserbriefschreibers kam dann als Antwort auf den Einwand "Atommüll" die lapidare Erwiderung "Atommüll haben wir doch schon, da macht ein bisschen mehr auch nichts mehr aus".

[veröffentlicht am 30.04.2022]

In letzter Zeit mehren sich die Rufe, den Atomausstieg rückgängig zu machen oder wenigstens die derzeit noch funktionsfähigen Atomkraftwerke länger als geplant zu betreiben, wie z.B. kürzlich in einem Leserbrief von Hr. F.

Diese Idee hat mehrere gravierende Nachteile:

  1. Kraftwerksbesitzer haben in Hinblick auf den Atomausstieg die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsüberprüfungen verringert oder ganz ausgesetzt. Für eine längere Laufzeit müssen diese Überprüfungen nun nachgeholt werden. Falls dabei Mängel erkannt werden, müssen diese mit hohem finanziellen Aufwand behoben werden.
  2. Kernkraftwerke sind real nicht versicherbar, weil die Schäden unabsehbar sind. Keine Versicherungsgesellschaft schließt mehr neue Haftpflichtversicherungen ab. Es gibt zwar formal den “Atompool”, einen Verbund von Versicherern, aber die Versicherungssumme für einen Schaden beträgt nur 255 Mio €. Höhere Schäden werden bis 2,5 Mrd. € vom Gesamtkonsortium der Mitglieder getragen. Das bedeutet, dass der Staat für alle weiteren Schäden aus Atomunfällen haftet. Dieser “Atompool” bestand vor 10 Jahren noch aus mehr als 30 Mitgliedern, von denen bis jetzt über 20 wieder ausgeschieden sind, weil die Risiken zu groß sind.
  3. Die Besitzer haben Entschädigungszahlungen erhalten, die der Staat zurückfordern müsste.
  4. Europaweit gibt es Vereinbarungen über Einspeisemengen. Falls "zuviel" produziert wird, müssen Anlagen abgeregelt werden, um weniger Strom zu erzeugen. Ältere Kernkraftwerke sind nicht sehr flexibel im "Abregeln" - dies hat hauptsächlich Kostengründe. Deswegen trifft es in der Regel die flexibleren Wind- oder Solarkraftwerke, die ihren Strom dann nicht mehr einspeisen können.
  5. Einer der Hauptlieferanten von Kernbrennstäben ist Russland. Wollen wir uns darauf verlassen?
  6. Die Entsorgung ist nach wie vor nicht geklärt. Es gibt kein Endlager.
Zumindest für den letzten Punkt scheint es aber eine Lösung zu geben: einer der lautesten Schreier nach einer Verlängerung der Laufzeiten ist Markus Söder. Dann wird es sicherlich auch bald einen Standort in Bayern für ein Endlager geben (das wäre natürlich blöd für uns Hessen als unmittelbare Nachbarn). Herr Söder würde sich doch nie die Blöße geben, Kernkraft zu fordern und dennoch ein Endlager in Bayern wegen der Gefahren abzulehnen.

Ein Blick ins Nachbarland Frankreich zeigt, dass die Atomkraft nicht dauerhaft handhabbar ist. Von den 56 Kraftwerken dort sind 26 langfristig (!) außer Betrieb, weil aus Sicherheitsgründen größere Instandsetzungen nötig sind. Netto ist Frankreich ein Stromimporteur, und Deutschland ist im Jahresmittel ein Stromexporteur.

Letztes Wochenende Am letzten April-Wochenende z.B. hat Deutschland nur mit erneuerbaren Energien (!) netto mehr Strom erzeugt als verbraucht (also mehr als 100 %) und konnte den Überschuss gut ins Ausland verkaufen. Eine Kombination von Photovoltaik und Windkraft kann uns langfristig von Öl, Gas und Kernkraft unabhängig machen.

Es ist also sinnvoll, in die sterbende Kernkraft kein gutes Geld mehr zu investieren, sondern dieses Geld in Technologien für erneuerbare Energien zu stecken. Dazu können Subventionen für private Photovoltaik zählen, aber auch Infrastruktur für ein “Smart Grid”, also ein leistungsfähiges Stromnetz, in das man z.B. die Akkus von E-Autos integrieren kann, während sie an einer Ladestation angeschlossen sind. Auch ein Recycling von alten E-Auto-Akkus als Puffer wird schon erforscht.

27.04.2022

"Endemisch" heißt nicht "harmlos" - Leserbrief

Heute war wieder der Tag der grausamen Leserbriefe in unserer regionalen Tageszeitung, der WZ.

Einer stach besonders hervor: eine Mathematikerin (nach eigenen Angaben) schrieb, dass das Virus endemisch werde, dass die beste Vorgehensweise eine durchstandene Infektion sei und dass man nach einer Infektion immun sei. Das ist sehr traurig, weil nichts davon stimmt und damit nur die Argumentationslinie von Streeck und Konsorten aufgegriffen wird, alles laufen zu lassen ("wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben" ...).

[veröffentlicht am 22.04.22]

Frau B. schreibt, dass wir in einem Stadium der Pandemie angelangt seien, in dem wir das Virus als normalen Bestandteil unseres Lebens akzeptieren sollen. Sie argumentiert damit, dass das Virus mittlerweile endemisch sei und die beste Vorgehensweise eine durchstandene Infektion sei, und dass man nach einer Infektion immun sei.

Leider stimmt nichts davon: "endemisch" ist nur der Fachbegriff für eine weite Verbreitung einer Krankheit. Das heißt nicht automatisch, dass die Krankheit deswegen harmlos geworden ist. Tuberkulose und Malaria sind auch endemisch und gute Gegenbeispiele dafür, dass das Wort "endemisch" allein keine Begründung sein kann.

Dinge einfach laufen zu lassen, führt zu den katastrophalen Ergebnissen wie in Dänemark und Schweden. Diese Länder haben absichtlich auf das Prinzip "Durchseuchung" gesetzt, wie eine Untersuchung letzte Woche aufgedeckt hat.

Wir wissen inzwischen genau, dass weder eine durchstandene Infektion noch eine Impfung eine Immunität hervorruft. Das Risiko, bei einer Infektion schwer zu erkranken, ist nicht zu vernachlässigen, deswegen ist eine Impfung die einzige sinnvolle Möglichkeit, das Risiko bei erfolgter Infektion so weit wie möglich zu reduzieren. Alles andere (AHA+L+A usw.) sind Hilfsmaßnahmen, die zusätzlich erforderlich sind oder waren.

Der Verlauf einer durchstandenen Infektion gibt außerdem keinerlei Hinweises darauf, dass die nächste Infektion denselben Verlauf haben wird. Jede Infektion kann harmloser oder schlimmer aufallen.

Es gibt zwar Forschungsansätze, dass manche Menschen immun zu sein scheinen, weil ihr Immunsystem andere Marker des Virus erkennt, so dass sie nicht auf das Spike-Protein reagieren, sondern auf Teile des Virus, die für dessen Reproduktion nötig sind und kaum mutieren. Diese Forschung könnte irgendwann zu besseren Impfstoffen führen, aber das ist noch Zukunftsmusik.

Wenn wir nicht alles daran setzen, die Infektionen zu reduzieren, bieten wir mit jeder Infektion dem Virus die Chance zu mutieren, und niemand kann vorhersagen, ob die neuen Mutationen harmloser oder gefährlicher sein werden.

Abgesehen davon gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass viele Infizierte (je nach Studie um die 10%) ein oder mehrere Post- oder LongCovid-Symptome entwickeln. Diese Auswirkungen auf das Gesundheitssystem und den Arbeitsmarkt sind langfristig überhaupt noch nicht absehbar.

23.04.2022

was ist das "Institut Mobile Zukunft"? - Leserbrief

Mitte März druckte die WZ ein großes Interview mit einem Vertreter des "Instituts für mobile Zukunft" (IMZU), Johannes Hübner. Das Institut wurde als Sammlung von Experten für quasi alles und jedes vorgestellt. Das machte mich neugierig und ich versuchte herauszufinden, welche Experten das sind und in welchen Fachgebieten sie das sind.

Außerdem fragte ich die Redaktion der WZ, wie das Interview zustande kam, ob Hr. Hübner sich als Interviewpartner anbot oder ob die WZ auf ihn zuging, um ein Interview zu führen. Diese Frage wollte die WZ-Redaktion nicht beantworten, da grundsätzlich keine Interna zu redaktionellen Entscheidungen nach außen gegeben würden. Ich denke aber, das beantwortet sich von selbst.

Spoiler: es sind im Wesentlichen Experten für bezahlte PR, das Interview erschien auch in anderen Blättern der Ippen-Verlagsgruppe (FR, FNP u.a.). Das schrieb ich der WZ in einem Leserbrief. Respekt trotz allem dafür, den Leserbrief abzudrucken.

Mit Hr. Hübner hatte ich nach Veröffentlichung einen eher schrägen Emailaustausch, in dessen Verlauf ich einen "Fragebogen" ausfüllen sollte, um mich zu "identifizieren". Vermutlich ist damit gemeint, dass Hr. Hübner herausfinden wollte, wie ich zum Klimawandel stehe. Er blieb hartnäckig bei der Behauptung, dass sich der CO2-Anteil in der Atmosphäre nicht verändert hat. Seine wissenschaftlichen Kenntnisse erschöpfen sich darin, zu behaupten, dass 1 Liter Kraftstoff (850 g Diesel) nicht zu 2,6 kg CO2 verbrennen könne. Also Chemie: setzen, sechs.

Aus Platzgründen nicht mehr in den Leserbrief gepasst hat eine Beispielrechnung, warum eine Halbierung der Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe keine besonders große Entlastung darstellt. Nebenbei gibt es eine rechtliche Hürde: die Mehrwertsteuer ist EU-weit harmonisiert, es gibt Mindestsätze von 15 bzw. 5 %, die die Mitgliedsstaaten nicht unterschreiten dürfen. Eine Halbierung ist also gar nicht möglich. Die Corona-bedingte Reduzierung auf 16 bzw. 5% war schon hart am rechtlichen Limit. Kraftstoffe stehen übrigens auf einer Liste von Waren, die ausdrücklich nicht für die reduzierte Mehrwertsteuer in Frage kommen, also könnte der Staat auch nicht einfach den Satz für Kraftstoffe auf 7 % senken.

Die Preissteigerung beim Benzin und Diesel dem Finanzamt anzulasten, ist unterkomplex.
Einfach mal als Rechenbeispiel, wieviel Einfluss die Mehrwertsteuer auf den Preis hat:

Zur Vereinfachung der Rechnerei mal angenommen, Diesel hat vor der Erhöhung 1,50 gekostet, davon sind dann 0,24 MwSt. (1,50 geteilt durch 1,19).

Jetzt kostet Diesel 2,00, davon sind dann 0,32 MwSt., ohne MwSt. also 1,68 (2,00 geteilt durch 1,19).

Diesel mit halbierter MwSt. (ich rechne mit 1,09) würde dann 1,83 kosten (1,68 mal 1,09), die MwSt betrüge 0,15 statt 0,32.

Eine Halbierung der MwSt auf Diesel würde den Verbraucher also um gigantische 17 Cent pro Liter entlasten, bei einem Tankinhalt von 50l macht das immerhin 8,50 pro Tankvorgang. Diese Entlastung wäre ziemlich ungerecht, weil sie PKW mit hohem Verbrauch massiv bevorteilt. Wer ein dickes Auto und/oder weite Strecken fährt und deswegen viel verbraucht, hat also deutlich mehr von dieser selektiven Steuerentlastung als Autofahrer mit einem kleinen Auto, wenig Fahrtstrecke oder Personen, die gar kein Auto fahren. Da die meisten Firmenwagen mit Diesel fahren, fehlt hier jeglicher Anreiz, spritsparend zu fahren - es zahlt ja die Firma und nicht der Fahrer.

[abgedruckt am 31.03.2022]

Das „Institut Mobile Zukunft (IMZU)“ hat seinen Sitz angeblich in Friedberg, auch wenn das Impressum der Website Frankfurt nennt. Die WZ feiert die „Experten für Fachrichtungen der Wissenschaft, Technik, Politik und Gesellschaft“ – also Experten für quasi alles, und das so nah!

Nur verwunderlich, dass man über das IMZU so gut wie nichts findet, wenn man recherchiert. Die Namen im Impressum sind unbeschriebene Blätter in der Welt der Klimawissenschaft, man erfährt von der Website nicht, welche Fachgebiete die „Experten“ beherrschen und inwieweit sie darin Besonderes geleistet haben. Die letzte offizielle Publikation war von 2020, kurz nach dem Beginn der Corona-Pandemie. Die Titel der aufgeführten Werke lassen eher auf eine Nähe zur Industrie schließen als auf „Unabhängigkeit“. Sogar noch 2015 findet sich ein Beitrag „Irrweg Elektromobilität“, und der Klimawandel durch CO2 wird schlicht geleugnet. Zitat: „die behauptete Anreicherung der Atmosphäre mit CO2 und NOx seit Beginn der Industrialisierung ist in der Atmosphäre nicht nachweisbar - die o.a. Zusammensetzung der Atmosphäre ist, wie obige Fakten belegen, seit Jahrhunderten gleich.“

So weit kann es mit der Kompetenz des Gremiums nicht her sein, wenn alle sonstigen Fachleute den Vorstoß Lindners zu Rabatten in der Luft zerreißen, sogar die Tankstellenbetreiber, die eine ausufernde Bürokratie bei der Rückerstattung des Rabatts befürchten.

Ein paar weitere Nachforschungen über dieses „Institut“ und damit verbundene Namen lässt erkennen, dass die weiteren an IMZU Beteiligten trotz beeindruckender akademischer Titel im Wesentlichen Journalisten und PR-Profis sind, die das schreiben, was ihre Auftraggeber bestellen und bezahlen: Johannes Hübner - Institut für zielgerichtete Kommunikation, Johannes Hübner autoconsult, Johannes Hübner PubliZitat, Das Fuhrwerk - Alfred F. Fuhr - AIVS, Dr. Susanne Roeder (Doktortitel in englischer Philologie).

Die fragwürdige Kompetenz erkennt man daran, dass Hr. Hübner eine Senkung der Steuern fordert und behauptet, dass die Preissteigerung auf die Steuern zurückzuführen ist. Aber: die Energiesteuer auf Diesel und Benzin beträgt fix 47 bzw. 65 ct. Der Löwenanteil der Preissteigerung fließt an die Mineralölfirmen! Natürlich steigt auch der Mehrwertsteueranteil, aber im Verhältnis ist das nur ein kleiner Teil (Details beim Datenjournalisten Kreutzfeldt). Die Erdölfirmen machen sich nun mit Spekulationsgewinnen die Taschen voll, sogar das Kartellamt ist eingeschaltet.

Die Gaspipeline Nordstream 2 war von Anfang an eine Totgeburt, und als Nebeneffekt der derzeitigen Krise freuen sich die Amerikaner, dass Europa nun dreckiges, umweltschädliches Frackinggas aus den USA bezieht.

Die Gasspeicher, die nun nur zu 30% gefüllt sind, sind eine Folge der Kündigung von langfristigen Lieferverträgen zugunsten von Einkäufen auf dem Spotmarkt. Das mag vor einiger Zeit aus BWL-Sicht billiger gewesen sein, aber man hat dabei der Hoffnung auf weiterhin niedrige Preise Vorrang vor Versorgungssicherheit gegeben und sich verzockt. Die Speicher selbst sind gar nicht mehr in deutschem Besitz, man hat sie vor einiger Zeit verkauft – Überraschung: an Gazprom.

Abgesehen davon ist es absolut sinnvoll, dass Diesel teurer ist als Benzin, denn Diesel ist deutlich umweltschädlicher als Benzin, und selbstverständlich sollte sich das bei der CO2-Bepreisung auch widerspiegeln. Ein Liter Diesel verbrennt zu ca. 2,6 kg CO2, ein Liter Benzin zu 2,3 kg CO2. Die derzeitige CO2-Abgabe war von Anfang an zu niedrig angesetzt und müsste noch deutlicher steigen. Die ersten Kipppunkte sind überschritten, wir haben effektiv nur noch knapp 5 Jahre, um deutliche ökologische Verbesserungen zu erzielen. Dazu gehört auch, die Blockade des Neubaus von Windkraftanlagen aufzuheben, z.B. die 10H-Regel. Der Flächenverbrauch von Windkraftanlagen ist lächerlich gering, und durch die Aufforstung an anderen Standorten gibt es sogar netto einen Gewinn an Bewuchs. Die Mär vom gefährlichen Infraschall ist lang widerlegt und resultiert nur aus einem Rechenfehler, und Hauskatzen töten jährlich mehr Vögel als alle Windkraftanlagen zusammen.

22.02.2022

"Ich beuge mich nicht" - Leserbrief

In der WZ am 18.02.22 ist ein Leserbrief als Antwort auf meinen Leserbrief über "Verachtung für die Demokratie" abgedruckt worden. Am 01.03. wurde dies als Antwort darauf abgedruckt.

Hr. B. zeigt absolut eindrucksvoll, dass er nichts verstanden hat und weiter in seiner schlichten Welt der Querdenker lebt und dort bleiben will.

Er hat mit seinem Leserbrief exakt das bewiesen und bestätigt, was ich schrieb: die Impfgegner suchen sich aus den Rechten und Pflichten eines Bürgers unserer Demokratie genau die Regeln heraus, die ihnen in den Kram passen, und den Rest ignorieren sie, weil das ja "ihr Recht" ist, sich frei zu entfalten. Das wichtigste für Impfgegner ist der Egoismus, nur für sich selbst zu entscheiden und zu leben.

Hr. B. zitiert Art. 8 unseres Grundgesetzes und betont, dass die "Spaziergänge" konform sind mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Dummerweise oder vielleicht auch ganz gezielt unterschlägt er dabei den zweiten Satz dieses Artikels: "Versammlungen im Freien müssen angemeldet werden".

Diese selektive Wahrnehmung der Realität zieht sich durch das gesamte Verhalten der Impfgegner: wenn ihnen Gesetze nutzen, werden sie lauthals eingefordert. Wenn sie nicht erwünscht sind, werden sie als "Zwangsmaßnahme" genauso lauthals abgelehnt. Hr. B. vergisst nur die Kleinigkeit, das eine demokratische Gemeinschaft nur funktionieren kann, wenn man nicht nur die Rechte nutzt, sondern auch solidarisch die Pflichten befolgt, die sich aus den gewährten Freiheiten ergeben. Die Freiheit des Einen findet ihre Grenzen in der Freiheit der Anderen. Und auch aus meinem vorherigen Leserbrief hat er nur das herausgelesen, was ihn stört, damit er es kritisieren kann. Fakten interessieren nicht.

Der "verdammte Impfstoff" wurde mehr als zehn Milliarden Mal gegeben. Die WHO untersucht derzeit um die 80 Verdachtsfälle von Menschen, die vielleicht aufgrund der Impfung verstorben sind. Noch nie in der Geschichte gab es in so kurzer Zeit so viele gesammelte Daten über ein Medikament - deshalb fallen auch extrem seltene Nebenwirkungen tatsächlich so schnell auf. Traurig nur, dass so viele Menschen versuchen, Kausalitäten zu finden, wo keine sind, und fabulieren sich aus zufälligen Ereignissen eine Verbindung zurecht zwischen Krankheiten und der kurz zuvor erfolgten Impfung.

An der Herstellung von mRNA-Medikamenten und -Impfstoffen wird seit 30 Jahren geforscht, leider über sehr lange Zeit hinweg mit wenig Budget, als Heilmittel z.B. für Krebs. Eine leicht verständliche Beschreibung findet sich hier beim Heise-Verlag. Die Pandemie hat hier weltweit so viel Geld locker gemacht, dass innerhalb von wenigen Monaten tatsächlich wirksame Impfstoffe hergestellt werden konnten. Das ist eine unglaubliche und wunderbare wissenschaftliche Leistung! Biontech fertigt nun mobile Herstellungscontainer an, die z.B. nach Afrika geliefert werden können, wo mehr als 50 Staaten nach wie vor massiv unterversorgt sind.

12.02.2022

Freiheit ist das neue Wort für Egoismus

[Veröffentlicht in der WZ vom 11.02.22]

Erneut zeigen die Querdenker und Impfgegner, wes Geistes Kind sie sind: der Leserbrief von Hr. Marel bringt es mit zwei kurzen Sätzen auf den Punkt. Diese Zitate klingen harmlos, aber mit etwas Hintergrundwissen offenbart sich dahinter ein Abgrund von Verachtung für Mitbürger und Demokratie.

Hintergrund dazu: Hr. Marel war Kandidat der AfD bei der letzten Kreistagswahl, unterzeichnete die als extrem eingestufte „Erfurter Resolution“ und wurde 2021 von immerhin 23.500 Menschen gewählt. Das von ihm angeführte Zitat stammt von Ken Jebsen, einem ehemaligen Moderator des rbb, der seit 2011 in Verschwörungstheorien abgedriftet ist. Er klagte mehrfach gegen Medien wegen deren Behauptung, er sei wegen antisemitischer Äußerungen entlassen worden. Klagen gegen die taz und den Spiegel verlor er.

Die Wikipedia weiß zum Künstlernamen "Ken Jebsen" interessante Details, hier nur ein kurzer Ausschnitt: "2014 und 2015 trat Jebsen als Hauptredner bei den umstrittenen Mahnwachen für den Frieden, ab 2020 bei „Querdenken“-Demonstrationen hervor. Wegen seiner Bill-Gates-Verschwörungstheorie und anderen Falschinformationen zur COVID-19-Pandemie sperrte YouTube den KenFM-Kanal im November 2020 dauerhaft. Der Verfassungsschutz Berlin beobachtet KenFM seit März 2021 als Verdachtsfall."

Die rechte Ideologie basiert auf einer verqueren Auslegung von darwinistischen Ideen: nur die Starken setzen sich durch, und auf Schwächere muss keine Rücksicht genommen werden.

Es geht den Impfgegnern überhaupt nicht mehr um die Einhaltung von demokratischen Regeln und Solidarität mit schwächeren Mitmenschen, sondern nur noch um die Durchsetzung des eigenen Willens, eben auch auf Kosten der Allgemeinheit, die im dritten Jahr mehr schlecht als recht durch diese Pandemie taumelt, mit politischen Beschlüssen, die aktiv wissenschaftliche Erkenntnisse und Expertenempfehlungen ignorieren.

"Freiheit" ist für Impfgegner das Kampfwort, um ihren Egoismus zu rechtfertigen. "Freiheit" bedeutet, dass es egal ist, wie voll die Krankenhäuser werden und dass dadurch Behandlungen und Operationen verschoben werden müssen. "Freiheit" bedeutet, an unangemeldeten Demonstrationen teilzunehmen, sie mit dem Feigenblatt des "Spaziergangs" zu tarnen und dabei Hygieneauflagen vorsätzlich zu mißachten. "Freiheit" bedeutet, wissenschaftliche Erkenntnisse als "Meinung" abzulehnen und die eigene Meinung zu Tatsachen zu erhöhen. "Freiheit" bedeutet, den Widerspruch als Verletzung ihrer demokratischen Rechte zu bejammern.

Es ist traurig, erschreckend und bezeichnend, dass Hr. Marel einen Menschen wie Ken Jebsen für zitierfähig hält und sich sogar die Mühe macht, dafür einen Leserbrief zu schreiben.

10.02.2022

Linux from Scratch in einer Linux-VM installieren

Ich bin seit langem ein großer Fan von "Linux from Scratch", bei dem man ein komplettes Linux-System aus den Quelltexten kompiliert und installiert. Ich schrieb vor längerem schon mal darüber, wie man dieses Kompilieren automatisieren kann.

Das hat bislang auf "Blech" gut funktioniert. In letzter Zeit habe ich sehr viel mit virtuellen Maschinen gearbeitet und den Ehrgeiz entwickelt, auch ein LFS in einer VM zum Laufen zu bekommen.

Ich habe meine bisherigen LFS-Versionen direkt nach dem ersten erfolgreichen Booten als tar-Archiv gesichert, und ich dachte mir, es wäre doch schön, diese ganzen historischen Schätzchen auch ohne zugehörige Hardware weiter zu benutzen.

Es hat ein bißchen Schweiß gekostet, aber schlussendlich ist es gelungen. Ich habe eine VM mit einer alten LFS-Version bootfähig machen können. Zwischendurch gab es ein paar Stolpersteine, deshalb schreibe ich das alles mal auf ;)

Das Gastsystem ist ein Fedora mit dem installierten @Virtualization-Paket. Darin enthalten ist eine nette GUI namens virt-manager, mit der man bequem neue VMs erstellen oder eine VM aus einem bestehender Imagedatei importieren kann.

Genau wie "Linux from scratch" wollte ich aber auch eine "VM from scratch" bauen. Dafür brauche ich zuerst eine "leere" Datei im Format qcow2. Das ist gut für kleine Festplatten, weil es ein "sparse" Dateiformat ist - die Datei ist nicht so groß wie definiert, sondern wächst an ihren Aufgaben bzw. der Füllung, "leere" Lücken belegen keinen Speicherplatz. Diese leere Datei habe ich mit dem folgenden Befehl erzeugt:

# qemu-img create -f qcow2 LFS-11.0-32.qcow2 2048M

Wie üblich bei LFS braucht man für den allerersten Schritt ein Gastsystem, auf dem man die LFS-Quellen kompilieren kann. Wenn man schon ein fertiges LFS als Archiv hat, entfällt dieser Schritt, aber es ist sehr praktisch, auf dem Gastsystem eine ISO-Datei mit einem "Live Linux" für Reparaturzwecke greifbar zu haben. Diese ISO-Datei bietet man der VM als virtuelles CD- bzw. DVD-Laufwerk an und kann ggfs. sogar davon booten, um sich die VM "von innen" anzuschauen. Das funktioniert selbst dann, wenn das LFS noch nicht bootfähig ist.

qcow2 kann man als Dateisystem auf dem Gastsystem mounten, wenn die VM nicht gestartet ist. Auf diese Weise kann man die virtuelle Festplatte (in Linuxjargon aus Sicht der VM /dev/vda) partitionieren und formatieren.

Das Stichwort "virtuelle Festplatte" deutet schon den ersten Stolperstein an: als Sparbrötchen habe ich beim Kompilieren des Linuxkernels für LFS auf echtem Blech nur die allernötigsten Optionen eingeschaltet, und die reichen nicht aus für den Betrieb in einer VM. Man muss die Optionen für "virtio" (das bedeutet "ich bin eine virtuelle Maschine") aktivieren, und ohne Basteleien an der "initial ramdisk" initrd ist es besser, wenn man alle virtio-Funktionen fest in den Kernel aufnimmt und gerade nicht als Module. Wenn man das Modul virtio_blk beim Booten nicht hat, findet der Kernel seine virtuelle Festplatte nicht und stoppt mit einem "kernel panic".

Während man also die virtuelle Festplatte vorbereitet, kann in einem anderen Fenster nebenbei ein Kernel kompiliert werden ;). Mindestens die Optionen CONFIG_VIRTIO und CONFIG_VIRTIO_BLK müssen in der .config-Datei auf "y" gesetzt werden (nicht "m"). Alle einzuschalten (console, net, iommu etc.) ist natürlich nicht verkehrt, soviel größer wird der kompilierte Kernel dadurch nicht. Da ich nur eine Sorte Kernel kompilieren will, der auf Blech und virtuell funktionieren soll, brauche ich auch das Modul für SATA-Festplatten fest eingebaut, d.h.  das SCSI-Disk-Modul "sd" ist nötig, also ist auch CONFIG_BLK_DEV_SD auf "y" zu setzen. Wer sich mit initialen Ramdisks auskennt, kann natürlich sportlich alle Optionen auf "m" für "module compile" setzen und eine initrd erzeugen. Das wird aber in LFS nicht gut unterstützt und ist deshalb "left as an exercise to the reader" ;)

Für das Mounten der VM-Festplatte auf dem VM-Host ist ein Linuxmodul "nbd" nötig, das die Verbindung zwischen der qcow2-Datei und einem Device in /dev herstellt. Ob man nun eine Partition für alles baut oder sich am moderneren EFI-Layout mit separaten Partitionen für /boot etc. orientiert, ist bei LFS eigentlich ziemlich egal.

Nach dem Erzeugen der qcow2-Datei muss das Device mit qemu-nbd gemountet ("connected") werden. Danach kann man mit fdisk oder parted die gewünschten Partitionen anlegen und formatieren. Die Größe der Partitionen ist im Skript unten hartkodiert und muss ggfs. angepasst werden. Die Größe der 3. Partition (root) erfährt man mit dem Befehl "parted devicename print". Dies ist der Wert beim letzten mkpart-Befehl (hier fett hervorgehoben).

# parted /dev/nbd0 print
Model: Unknown (unknown)
Disk /dev/nbd0: 2147MB
Sector size (logical/physical): 512B/512B
Partition Table: msdos
Disk Flags:

Number  Start   End     Size    Type     File system  Flags
 1      1049kB  257MB   256MB   primary
 2      258MB   514MB   256MB   primary
 3      515MB   2147MB  1633MB  primary

Dieses Skript erledigt nun die ganze Arbeit, eine qcow2-Datei als virtuelle Festplatte für die VM vorzubereiten und mit Filesystemen zu versehen.

TO=/dev/nbd0
BOOT="${TO}p1"

SWAP="${TO}p2"

ROOT="${TO}p3"

img=~ths/kvm/LFS-10.1-32.qcow2
size=2048M
MNTROOT=/mnt/lfs
MNTBOOT="${MNTROOT}/boot"

modprobe nbd max_part=8
mkdir -p "${MNTROOT}"
qemu-img create -f qcow2 "${img}"
"${size}"

qemu-nbd --connect="${TO}" "${img}"

P="parted --script --fix ${TO}"

${P} mklabel msdos
${P} mkpart primary ext4   1  257
${P} mkpart primary ext4 258  514
${P} mkpart primary ext4 515 2147
${P} set 1 boot on
${P} print 

mkfs -t ext4 "${BOOT}"
mkfs -t ext4
"${ROOT}"
mkswap /dev/nbd0p2

mount "${ROOT}" "${MNTROOT}"
mkdir -p "${MNTBOOT}"
mount "${BOOT}" "${MNTBOOT}"

Als nächstes wird das LFS-Archiv ausgepackt. Mein Beispiel zeigt ein historisches LFS 8.0 mit einem damaligen Kernel 4.10 ;), man könnte aber auch ein aktuelles LFS verwenden.

cd /mnt/lfs
tar xf LFS-8.0-32.tar

Danach müssen die grub.cfg und die fstab angepasst werden, damit die Namen der Partitionen mit denen übereinstimmen, die die VM zur Verfügung stellt.

/dev/vda3 /      ext4  defaults  1 1
/dev/vda2 swap   swap  pri=1     0 0
/dev/vda1 /boot  ext4  defaults  1 1

Es ist auch eine gute Idee zu kontrollieren, ob die Verzeichnisse, die so ein Linuxsystem zum Betrieb benötigt, alle da sind, z.B. /tmp mit den richtigen Berechtigungen (wer weiß, was die "1" in "1777" bedeutet?), /var/log, /run, /sys usw. Danach folgt der (für mich) größte Stolperstein. Es ist nun nötig, dem Bootloader grub mitzuteilen, wie Linux von der Festplatte gestartet wird.

Der dazu nötige "Trick" ist sogar in der LFS-Anleitung beschrieben. Man muss nur auf die Idee kommen, dass diese Schritte auch für das Erzeugen einer VM nötig sind!

Die virtuellen Devices, die ein Linuxkernel zum Funktionieren benötigt, muss man in die künftige VM "duplizieren". Diesen Vorgang nennt man "bind mount", das ist eine Kopie eines Mounts an einer zweiten Stelle. Mit Hilfe dieser Devices ist grub erst in der Lage, die virtuelle Festplatte bootfähig zu machen.

export LFS=/mnt/lfs
mkdir -pv $LFS/{dev,proc,sys,run}
mknod -m 600 $LFS/dev/console c 5 1
mknod -m 666 $LFS/dev/null c 1 3
mount -v --bind /dev $LFS/dev
mount -v --bind /dev/pts $LFS/dev/pts
mount -vt proc proc $LFS/proc
mount -vt sysfs sysfs $LFS/sys
mount -vt tmpfs tmpfs $LFS/run
if [ -h $LFS/dev/shm ]; then
  mkdir -pv $LFS/$(readlink $LFS/dev/shm)
fi

Beim Auspacken eines "fertigen" LFS-Archivs sind die Device-Nodes für console und null natürlich schon da; die Fehlermeldungen kann man getrost ignorieren. Der Vollständigkeit halber habe ich die Schritte aus der LFS-Anleitung komplett zitiert.

Der nächste Schritt ist genauso wichtig: grub muss die "echten" Pfad- und Dateinamen sehen können. Dazu muss man mit chroot in das neue LFS-System wechseln.

export LFS=/mnt/lfs
chroot "${LFS}" /usr/bin/env -i \
    HOME=/root                  \
    TERM="${TERM}"              \
    PS1='(lfs chroot) \u:\w\$ ' \
    PATH=/usr/bin:/usr/sbin     \
    /bin/bash --login +h

In dieser schon "halb" simulierten Umgebung führt man grub-install auf die virtuelle Festplatte aus. Falls Host und Gast unterschiedlich "große" CPUs verwenden, muss grub Bescheid wissen, ob das Gast-LFS mit 32 Bit läuft. Ansonsten reicht es, das Device anzugeben.

grub-install /dev/nbd0

bzw.

grub-install --target=i386-pc /dev/nbd0

Danach kann man mit exit die chroot-Umgebung verlassen und die "bind mounts" wieder rückgängig machen.

export LFS=/mnt/lfs
umount $LFS/dev/pts
umount $LFS/dev
umount $LFS/proc
umount $LFS/sys
umount $LFS/run
 

Weiter oben hatte ich vorgeschlagen, in einem anderen Fenster einen Linuxkernel vorzubereiten, in dem die VIRTIO-Optionen alle fest in den Kernel eingebaut sind. Diesen Kernel sollte man nun nach /boot in die virtuelle Festplatte kopieren und den exakten Dateinamen in die grub.cfg eintragen. Die Anweisung "set root" in grub.cfg weist den Bootloader auf die Partition hin, in der der Kernel zu finden ist. In der Kernelkommandozeile hingegen ist "root=..." die Angabe, auf welcher Partition das Root-Filesystem dieser Linuxinstallation zu finden ist. Meine sehr schlichte /boot/grub/grub.cfg sieht so aus:

# Begin /boot/grub/grub.cfg
set default=0
set timeout=2

insmod ext2
insmod gzio
insmod part_msdos
set menu_color_normal=white/black
set menu_color_highlight=black/light-gray
font="/usr/share/grub/unicode.pf2"

menuentry "Linux from Scratch 11.0 5.15.21-64 vda3" {
    set root=(hd0,1)
    linux  /vmlinuz-5.15.21-64 root=/dev/vda3 ro
    initrd /initrd-5.15.21-64.img
}

Als vorletzten Schritt muss man nun die virtuellen Festplattenpartitionen unmounten und nbd anweisen, die Verbindung zwischen der qcow2-Datei und dem Device aufzuheben.

umount "${MNTBOOT}"
umount "${MNTROOT}"
qemu-nbd --disconnect "${TO}"
rmmod nbd

Nachdem die Datei der virtuellen Festplatte freigegeben ist, kann entweder mit dem GUI virt-manager oder auf der Kommandozeile mit virsh die eigentliche virtuelle Maschine aus der qcow2-Datei erzeugt werden. Im GUI klickt man sich durch das "create"-Menü und wählt "import existing disk image" und den Dateinamen aus. In der virsh verwendet man am besten eine bestehende VM als Muster, um die Definition als XML-Datei zu exportieren, ein paar Zeilen zu ändern (falls später die beiden VMs parallel laufen sollen), insbesondere natürlich den Dateinamen der neuen qcow2-Datei.

# virsh dumpxml vm-lfs1-11.0-64 > vm-lfs2-11.0-64.xml

Ich schlage vor, die folgenden Einträge in der XML-Datei zu verändern. Die man-Page von virsh empfiehlt, auch die UUID zu verändern oder die Zeile komplett zu löschen - dann vergibt virsh eine neue UUID.

>   <name>vm-lfs2-11.0-64</name>
>   <title>vm-lfs2-11.0-64</title>
>   <description>vm-lfs2-11.0-64</description>
<       <source file='/home/ths/kvm/vm-lfs1-11.0-64.qcow2'/>
>       <mac address='52:54:00:01:d1:22'/>

Dann kann man mit "define" die neue "Domain" bekannt machen. "Domain" ist der Begriff, mit dem KVM die virtuellen Maschinen bezeichnet.

# virsh define vm-lfs2-11.0-64.xml

Die VM kann jetzt gestartet werden, entweder im GUI des virt-manager oder mit virsh auf der Kommandozeile. Falls der Bootvorgang mit einem "kernel panic" und dem Hinweis "unknown block device (0,0)" endet, kann der Linuxkernel die virtuelle Festplatte nicht erkennen. Dann hat etwas beim Kompilieren des Kernels nicht geklappt mit der Aktivierung der VIRTIO-Optionen.

# virsh start vm-lfs2-11.0-64

Eine alternative Möglichkeit zur Reparatur ist das Starten der VM mit einer ISO-Datei eines Live-Linux-Systems. Dieses System sollte die virtuelle Festplatte ebenfalls erkennen, und man kann erneut versuchen, mit dem chroot-Schritt von oben die VM bootfähig zu machen.