09.06.2022

Selbsttäuschung als Ausweg aus der Klimakatastrophe

Ein weiterer Leserbrief behauptet, dass Deutschland nicht aus der Kernkraft aussteigen soll. Herr F. findet, dass wir mehr kaputte Atome brauchen. Auf Bagatellen wie Versicherung, Gefahren oder Atommüll geht er nicht weiter ein - das sind vermutlich alles Probleme für nachfolgende Generationen?

All diese hilflosen Versuche sind Symptome einer Flucht vor der Wirklichkeit und ignorieren, wie aufwändig es wäre, bestehende Kernkraftwerke weiter zu betreiben oder neue zu bauen. Atomstrom ist, wenn man alle Folgekosten betrachtet, die teuerste Option. Statista hat eine Aufstellung über die Kosten der verschiedenen Arten der Stromerzeugung:

Atomkraft

37,8 ct/kWh

Braunkohle

25,5 ct/kWh

Steinkohle

23,3 ct/kWh

Solar

22,8 ct/kWh

Wind Offshore

18,5 ct/kWh

Wind Onshore

8,8 ct/kWh

Selbst wenn man annimmt, dass das Ausmaß der Klimakatastrophe verstanden wurde - was ich bezweifle - ist die Forderung nach mehr Kernkraft ein Zeichen für ein "weiter so". Man verschiebt die vermeintliche Lösung des Problems immer weiter in die Zukunft, damit jetzt in der Gegenwart keine Einschnitte nötig sind. Das ist Raubbau auf Kosten unserer Kinder. Ein Großteil der Brennstäbe kommt aus Russland. Wollen wir Putin noch mehr Geld für Kriege geben?

Die Befürworter von Kernkraft wollen nicht akzeptieren, dass der Zeitrahmen für wirksame Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe zu kurz ist, um neue Kernkraftwerke zu bauen und damit fossile Brennstoffe stark genug zu reduzieren. Wir sollten kein Geld in die Zukunft verschieben, das wir jetzt brauchen, um erneuerbare Energien auszubauen.

Ein neues Kernkraftwerk hat eine Bauzeit von zehn bis fünfzehn Jahren, und wenn ein Feldhamster gesichtet wird, dauert es nochmals fünf Jahre länger.

Wir haben aber insgesamt nur noch 5 Jahre Zeit, und selbst diese Zeitspanne garantiert uns nur ungefähr eine Zweidrittel-Chance, unter dem Ziel von 1,5 ° C zu bleiben, das im Pariser Abkommen 2015 festgelegt wurde. Zur Erinnerung: Deutschland hat dieses Ziel ratifiziert, es hat also Gesetzeskraft. Nur leider handelt man nicht danach.

In Frankreich sind mittlerweile die Hälfte aller Atomkraftwerke abgeschaltet, größtenteils langfristig wegen schwerer Baumängel, teilweise wegen Wassermangel für die Kühlung - auch diese Trockenheit ist eine Folge der Klimakatastrophe.

Über Pfingsten lag der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung in Deutschland bei über 70 %, Deutschland konnte zu einem guten Preis von über 10 ct/kWh Strom ins Ausland verkaufen. So schwer kann es also nicht mehr werden, den Anteil noch weiter zu steigern. Der Schritt der Ampel, länderspezifische Abstandsregeln zu verbieten, ist ein richtiger und überfälliger Schritt, um die Fortschrittsverhinderer Söder in Bayern und die AfD in Thüringen einzubremsen.

Selbst eine globale Erwärmung um "nur" 1,5 ° C hat schon gravierende Auswirkungen, die uns teuer zu stehen kommen werden. Die letzten Jahre waren in Deutschland ungewöhnlich heiß und trocken. In Indien, Pakistan, Afrika und Südamerika gibt es Hitzewellen mit über 50 ° C. Die Schwankungen des Wetters, d.h. die extremen "Ausreißer" zu beiden Seiten, werden immer stärker.

Die "National Oceanic and Atmospheric Administration" NOAA, die Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA, hat einen erschreckenden Vergleich der auf uns zukommenden Probleme erstellt:

5 ° C

Ein Großteil der Erde wird unbewohnbar

4 ° C

Hunderte überschwemmte Städte

3 ° C

Dürren und Hungersnöte für Milliarden Menschen

2 ° C

Tödliche Hitzewellen und Essensknappheit

1,5 ° C

Hitzewellen, Fluten, Dürren

1 ° C

Instabile Lebensmittelversorgung

0,5 ° C

Mehr extreme Wetterereignisse

Was wir anstatt von Kernkraftwerken brauchen, sind kurzfristige Maßnahmen, um fossile Verbrennung zu reduzieren:

  • Photovoltaik auf alle öffentlichen Gebäude
  • Mehr Windkraftanlagen statt Verhinderung wie in Thüringen oder Bayern
  • Luftfiltergeräte mit Wärmetauschern in Schulen statt Lüften
  • Billiger, gut getakteter ÖPNV
  • Weniger Individualverkehr
  • Mehr Homeoffice, wo immer möglich
  • Weniger LKW
  • Güter auf die Schiene