17.12.2013

Raising Steam - Terry Pratchett - Buchbesprechung

Die Neugierde hat über die Sammelleidenschaft gesiegt (mal wieder), deshalb habe ich mir das neueste Buch von Sir Terry Pratchett als ebook  besorgt und gestern beendet. Zur Veröffentlichung hat das gebundene Buch bei amazon 19,99 € gekostet und das ebook 15,99, aber ein paar Tage später gab es schon ein Sonderangebot für die fast runde Summe von 6,87 €, und da konnte ich dann wirklich nicht widerstehen ;).  Bei englischen Büchern greift die Buchpreisbindung nicht, die Preise schwanken deshalb sehr. Heute z.B. waren die Preise 16,99 und 13,99. Es lohnt sich offensichtlich, ein paar Tage auf ein Sonderangebot zu warten ;)

"Raising Steam" ist das 40. Buch der Scheibenwelt (derzeit nur auf Englisch erhältlich), und ich habe irgendwie das Gefühl, dass in den letzten Büchern die moderne Rundwelt (also wir ...) und die Industrialisierung mit Macht Einzug halten sollen.

Im Wesentlichen handelt das Buch von der Erfindung der dampfgetriebenen Lokomotive und dem Ausbau des Schienennetzes. Nebenbei taucht als  Bösewicht Ardent nochmals auf, der schon in "Thud!" für Unruhe gesorgt hat, bis es dort am Schluss zum Waffenstillstand von Koom Valley gekommen war. Er versucht erneut, zusammmen mit den konservativen Grags den Fortschritt aufzuhalten und die Zwerge vom Rest der Welt zu isolieren. Dabei versuchen die Zwerge zunächst, die Clacks-Türme zu sabotieren; das hat allerdings nicht viel Erfolg.

Um das Fazit gleich vorneweg zu nehmen: die Kunst von Sir Terry liegt im genauen Beobachten von Menschen und ihren Beziehungen, und im feinsinnigen Kommentieren seiner Erkenntnisse. In diesem Buch hat er sich zuviel Inhalt vorgenommen, und die feinen Zwischentöne bleiben leider auf der Strecke. Es ist eine recht straff erzählte Geschichte; es gibt zwar einige witzige Fußnoten und kleine Einschübe, aber alles, was passiert, muss dazu beitragen, die Geschichte voranzubringen. Das ist sehr ungewohnt und eigentlich schade für einen Erzähler wie Sir Terry.

Der Zeitraum der Geschichte ist mit mehreren Jahren viel zu groß: von der Entwicklung der Dampfmaschine (mit Hilfe von "logger-rhythms", "quader-ratics", "slide rule", "sine" und seinem Cousin "cosine" und nicht zu vergessen der "tangent") über die Finanzierung über den Ausbau des Schienennetzes bis hin zum Putsch im Zwergenkönigreich will Sir Terry alles in einem Buch abdecken. Das mathematische Wortspiel mit "sine", "cosine" und "tangent" taucht leider im Buch allzu häufig auf, und nach dem zweiten oder dritten Mal hat es sich verbraucht. Dasselbe gilt für die Charakterisierung der Lokomotive als Maschine, die alle vier Elemente (Erde (i.S.v. Erzen für den Stahl), Wasser, Feuer, Luft) in sich vereint. Auch das wird mehrfach wiederholt und stört dann. Anfänglich konnte ich den Erfinder Simnel noch als Person erkennen, zum Ende hin wird seine Beschreibung immer oberflächlicher, genau wie seine Beziehung zu Harrys Tochter Emily.

Allein die Herstellung von genügend Stahl, um die Bahnlinien nach Sto Lat, Quirm usw. zu bauen, muss Jahre dauern, und dann wird im Eiltempo der Brücken- und Tunnelbau erfunden, um die Bahnlinie nach Uberwald fertigzustellen.

Mich beschleicht das Gefühl, dass Sir Terry zwar noch unglaublich viele Ideen für die Scheibenwelt hat, aber er Angst hat, diese Geschichten nicht mehr erzählen zu können, weil ihn seine Krankheit einholt und ihn seiner geistigen Fähigkeiten beraubt. Deswegen packt er soviel Handlung in eine einzige Geschichte.

Im Vergleich dazu ist das vorherige Buch "Snuff" eine recht kurze, knackige Geschichte mit einer einzigen stringenten Handlung, und darum herum befindet sich eben genau das, was Sir Terry gut kann: beschreiben, was die Menschen in der Geschichte ausmacht, und warum sie so sind und das tun, was sie tun. "Snuff" ist für mich neben "Nightwatch" eines der besten Bücher mit Vimes, und im Vergleich dazu ist "Raising Steam" eher schwach.

Der erste große Teil des Buches wird verwendet, um die Erfindung des Dampfantriebs zu schildern und die Nutzung des Zuges als eine Art Jahrmarktsattraktion vor den Toren von Ankh-Morpork. Danach nimmt die Geschichte Fahrt auf, und als der "Low King" einen längeren politisch bedingten Aufenthalt im Tausende Meilen von seinem Königreich entfernten Quirm verbringt, reißt Ardent die Macht im Schmaltzberg in Uberwald an sich und will sich zum neuen "Low King" krönen lassen.

Damit wird auch klar, warum Vetinari so vehement darauf bestanden hat, die Bahnlinie von Ankh-Morpork bis Uberwald mit höchster Priorität fertigzustellen: damit Rhys Rhysson, der König, so schnell wie möglich von Quirm zurück nach Schmaltzberg reisen kann. Warum hier allerdings nicht Kutschen mit Golem-Pferden eingesetzt wurden oder z.B. andere Hilfsmittel, ist wohl allein der Dramaturgie geschuldet. Der Low King wird mehrfach beschrieben beim "Pläne machen" für die Zeit nach der Ankunft. Welche Pläne das konkret sind, wird bis zum Ende nicht klar. Die Reise muss mehrere Wochen gedauert haben. Im Buch wird als Entfernung zwischen Ankh-Morpork und Uberwald 1225 Meilen angegeben, und die Lokomotive ist 30 Meilen pro Stunde schnell.

Die Reise des Zugs mitsamt der gesamten Prominenz der Nachtwache nimmt einen weiteren großen Teil des Buchs ein, es passieren Anschläge auf die Schienen, auf den Zug, und auf Versorgungsstationen für Kohle und Wasser, die allerdings alle glimpflich verlaufen.

Das Buch las sich für mich wie eine Liste von Personen, die irgendwie mitspielen. Keiner von ihnen hatte eine wesentliche Rolle, außer zu einer bestimmten Zeit am richtigen Ort zu sein und dort das Richtige zu tun: Vimes konnte die Namen der Mitverschwörer herausfinden, weil er den Zwergen mit dem Abzeichen der "Summoning Darkness" auf seinem Arm Angst machen konnte. Als die Zwerge bei dem Angriff auf die Bahn die Kupplung auftrennen konnten, hat ein Troll mit einer Art Draisinenantrieb die Waggons angetrieben und die Lokomotive wieder eingeholt. Cheery Littlebottom, Colon, Nobbs, Angua, Detritus und Sally tauchen auch "mal kurz" auf und werden erwähnt, aber keiner hat eine tragenden Rolle. Immerhin wird Carrot nicht auch auf diese Weise verheizt. Auch die Magier der Unsichtbaren Universität haben eine kurze Sprechrolle: sie dürfen feststellen, dass die Dampfmaschine keinerlei Magie enthält.

Sir Harry King, der "King of the golden river", der bislang sein Geld im untergründigen Geschäft mit der Entsorgung von Exkrementen gemacht hat, wird hier zum Eisenbahntycoon mit einem riesigen Herz, der z.B. einer Mutter eines verunglückten Möchtegern-Ingenieurs eine großzügige Pension zukommen lässt. Vom knallharten Geschäftsmann aus den vorherigen Büchern ist kaum noch etwas zu erkennen.

Schön fand ich die Begeisterung von Vetinaris Assistenten Drumknott, der dem Eisenbahnfieber verfällt und als Zweitberuf zum Lokführer wird.

Die Goblins, die zuerst in "Snuff" eine größere Rolle bis hin zur Gleichberechtigung bekamen, erhalten hier sogar noch mehr Raum für Entwicklung. Auch werden einige kulturelle Besonderheiten erwähnt, wie z.B., dass sie großen Wert darauf legen, mit ihrem vollständigen Namen angeredet zu werden. Außerdem sind sie sehr schlagfertig und können interessante Tränke aus Pflanzen und Schnecken brauen, wie Lipwig mehrfach feststellt. Bei einem Besuch in Quirm spricht "Of the Twilight the Darkness" mit dem Marquis eines kleinen Weinguts: "Nice place you got here. Don't worry about smell. I'll get used to it." - "Mon Dieu" - "Not a god, Mister Mar-kee, only goblin. And not only that, Mister Mar-kee. I'm real. If you cut me, do I not bleed? And if you do, I bleeding well cuts you too, no offence meant.". Außerdem sind die Goblins fasziniert von Technik und stürzen sich mit Begeisterung in den Betrieb der Clacks-Türme und der Eisenbahn.

Die Rückeroberung des Königsreichs ist hingegen am Ende eher unauffällig und unblutig. Dabei gibt es noch einige Überraschungen sowohl beim Low King als auch zu Vetinari. Diese Pointen will ich hier aber nicht vorwegnehmen ;)