16.06.2020

Corona und alternative Fakten - Leserbrief

Und wieder hat der Professor L. zugeschlagen und weit außerhalb seines Fachgebiets alternative Fakten zu Corona zusammengetragen, mit vielen Zahlen garniert und daraus einen "ist doch alles nicht so schlimm"-Leserbrief gemacht. Insbesondere schreibt er BS über die Situation in Schweden.
[veröffentlicht am 16.06.2020, Änderungen der WZ in rot]


Leserbrief zum Leserbrief von Hr. L.
Nun haben also die alternativen Fakten auch den Meinungstreff erreicht.
Hr. L. hat die üblichen schrägen Argumente der Corona-Verharmloser zusammen getragen und daraus eine mit vielen Zahlen gespickte Sammlung von Halbwahrheiten gebaut. Alle seine Behauptungen lassen sich mit einem kurzen Blick z.B. in den Faktencheck der "Süddeutschen" entlarven (Link dazu entfernt). Es ist ein beliebter rhetorischer Trick, viele Zahlen, gerne mit Kommastellen, in einen Text zu werfen, um besonders seriös und glaubwürdig zu wirken.
Schweden geht es nicht "besser", sondern im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wesentlich schlechter als Deutschland. Hochgerechnet hat Schweden viermal mehr Tote zu beklagen als wir. Die Wissenschaftler, die die Regierung beraten, sprechen inzwischen offen davon, dass die lockere Handhabung ein Fehler war. Dass es für die Schweden trotzdem nicht noch sehr viel schlimmer gekommen ist, liegt vermutlich an der dünnen Besiedlung in dem Land, an der hohen Zahl Alleinlebender in den wenigen großen Städten und möglicherweise auch an der Selbstdisziplin der Bevölkerung.
Insbesondere kann man beileibe nicht von einer "Herdenimmunität" sprechen. Ob es überhaupt eine dauerhafte Immunität gibt, ist wissenschaftlich überhaupt noch nicht geklärt. Aus China gibt es Berichte, dass Genesene sich erneut infiziert hätten. Ob es eine dauerhafte Impfung geben wird wie bei Masern oder eine saisonale wie bei Influenza, ist derzeit noch unerforschtes Gebiet. Vor diesem diffusen Hintergrund ist es höchst gefährlich, jetzt mit schlechten Argumenten die Dinge zu verharmlosen, noch bevor klar ist, wie sich die derzeitigen Lockerungen auf die Lage auswirken werden.
Auch die Behauptung, dass die Grippesaison 2017/18 viel mehr Todesopfer gefordert habe, ist bestenfalls eine Viertelwahrheit. Die Zahl kommt nämlich durch eine Hochrechnung des Robert-Koch-Instituts und nicht durch medizinische Untersuchungen zustande. "(...) in der ungewöhnlich schweren Grippesaison 2017/18 tatsächlich „nur“ 1674 Todesfälle an Grippe im Labor bestätigt. Da in Jahren, in denen die Grippe stark wütet, mehr Menschen sterben als sonst („Übersterblichkeit“) und Influenza oft nicht als Todesursache angegeben wird, (...) Hochrechnungen an, wie hoch die tatsächliche Zahl der Opfer sein könnte. So kommen die 25 000 Todesfälle für 2017/18 zustande".

15.06.2020

Seenotrettung bewirkt keinen Pulleffekt - Leserbrief

Leserbrief zur Sitzung des Kreistags in der Stadthalle
[veröffentlicht am 05.06.2020]

Letzte Woche beschrieb die WZ eine Sitzung des Kreistags, die die AfD zu einer ihrer üblichen unfundierten Hetztiraden nutzen wollte. Der Abgeordnete Kuger wiederholt eine der Legenden, mit denen die AfD gern gegen Flüchtlinge agitiert: er behauptet, dass die Rettung von Flüchtlingen dazu führt, dass noch mehr Flüchtlinge "angelockt" werden.

Diese menschenverachtende These wird seit Jahren immer wieder aus der Mottenkiste geholt, aber dadurch wird sie nicht richtiger: es gibt mehrere Untersuchungen, in denen das Gegenteil festgestellt wird. Wissenschaftler des "Italian Institute for International Political Studies" haben von Januar bis Juni 2019 keinen Zusammenhang zwischen Rettungsaktionen und zunehmenden Flüchtlingszahlen beobachten können. Sozialwissenschaftler der Universität Oxford und der Scuola Normale Superiore in Florenz verglichen drei verschiedene Jahre. Ihre Auswertung zeigt: In Jahren, in denen die EU sich stark in der Seenotrettung engagierte, kamen nicht mehr Menschen in Europa an, als in einem Jahr, in dem kaum Seenotrettung stattfand. "Trotz weniger Seenotrettung erreichten nicht weniger Menschen die EU" (Elias Steinhilper, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung).

Durch die harte Politik der Anrainerländer wie Italien, Malta und Griechenland, die Druck ausüben, gibt es immer weniger Rettungsschiffe, und die Wahrscheinlichkeit, auf der Flucht zu sterben, ist inzwischen stark gestiegen. 2015 kamen 4 von 1000 Migranten, die die Odyssee über das Mittelmeer wagten, ums Leben. Inzwischen sind es 25 von 1000. Dabei gibt es internationale Seerechtsabkommen, die Schiffe verpflichten, in Not geratene Menschen aufzunehmen, und die auf diese Weise mit Füßen getreten werden.

Insgesamt gesehen ist die Flüchtlingsfrage aber zu komplex, als dass es "den einen" Schalter gibt, den man umlegen kann, um das Problem zu lösen. Hauptsächlicher Grund für Flucht ist immer noch die Situation in den Heimatländern. Die Menschen flüchten vor Bürgerkrieg, religiöser oder sexueller Verfolgung und Gewalt, und dazu tragen auch gern die Waffenhändler aus der ersten Welt bei. Deutschland ist immerhin viertgrößter Waffenexporteur weltweit, und die Menschenrechtslage scheint dem Aufsichtsgremium nur zweitrangig zu sein, wie man an Lieferungen an Länder wie Türkei, Ägypten etc. deutlich sieht.

03.06.2020

Energieverbrauch beim Streaming - Leserbrief

Leserbrief zur Kolumne von Hr. Arnold, 26.05.2020
[veröffentlicht am 03.06.2020]

Hr. Arnold schreibt einige interessante Gedanken zum Stromverbrauch während der Corona-Krise.

Viel mehr Menschen bleiben zuhause und unterhalten sich dort mit Hilfe von Geräten, die natürlich Strom verbrauchen.
Insbesondere kritisiert Hr. Arnold das "Streaming", also das Anschauen von Filmen über Internet.

Die großen Anbieter hier sind Netflix, Amazon, Google (Youtube und Playstore Filme), Apple und zunehmend Disney+.
Der Energieverbrauch sowohl bei den Anbietern als auch bei den Konsumenten ist beträchtlich, wie Hr. Arnold zutreffend bemerkt. Aber es gibt deutliche Unterschiede zwischen ihnen, und diesen Punkt hätte ich mir stärker herausgearbeitet gewünscht.

Viele Anbieter verwenden intern Dienstleister zur Verbreitung ihrer Daten, sogenannte "Content Distribution Networks" (CDN), das sind lokale Zwischenspeicher, um die internationalen Datenleitungen zu entlasten. Hier gibt es große Unterschiede, wie effizient diese CDNs arbeiten.

Abgesehen davon sind viele große Anbieter inzwischen nahezu oder sogar schon vollständig klimaneutral, indem sie Ökostrom beziehen oder sogar selbst erzeugen (Google ist nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren klimaneutral durch die Verwendung von eigenem Solarstrom).

Etwa ein Drittel des Stromverbrauchs von Rechenzentren wird für die Kühlung der Geräte aufgewendet. Viele moderne Rechenzentren lassen diese Abwärme nicht verpuffen, sondern leiten sie wie ein Blockheizkraftwerk nutzbringend weiter.
Der Energieverbrauch beim Streaming ist mittlerweile ca. 1% des weltweiten Gesamtverbrauchs, und das ist schon auffällig viel, aber nicht beunruhigend, z.B. durch diese Zweitnutzung.

Insgesamt kann man sagen, dass Google und Amazon sehr klimafreundlich sind und Netflix noch nicht besonders. Hier können wir als Verbraucher Druck ausüben.

Ein paar Zahlen zur Verdeutlichung: der Energiebedarf durch das Streaming wird auf weltweit 200 TWh pro Jahr geschätzt (Terawattstunden), das ist in etwa soviel wie Spanien. Deutschland hatte 2018 einen gesamten Energiebedarf von ca. 530 TWh, weltweit waren es 20.000 TWh. Zum Vergleich dagegen: der Rechenaufwand für Bitcoins erforderte immerhin 60 TWh, und der Nutzen von Bitcoins und Blockchains ist nach wie vor in der Fachwelt höchst umstritten.

Zum Schluss noch eine Anmerkung als Elternbeirat: durch die Corona-Krise wird deutlich, wie stark wir alle mittlerweile von der Digitalisierung profitieren und wo noch Mängel zu beheben sind. Auf Youtube z.B. gibt es großartige Filme und Filmchen, mit denen bestimmte Sachverhalte erklärt werden, und viele Lehrer nutzen in dieser Krise die Möglichkeiten gut, die Schüler zuhause zu erreichen und weiterhin zu bilden und zu beschulen. Vielen Dank dafür an alle Lehrer!