15.06.2020

Seenotrettung bewirkt keinen Pulleffekt - Leserbrief

Leserbrief zur Sitzung des Kreistags in der Stadthalle
[veröffentlicht am 05.06.2020]

Letzte Woche beschrieb die WZ eine Sitzung des Kreistags, die die AfD zu einer ihrer üblichen unfundierten Hetztiraden nutzen wollte. Der Abgeordnete Kuger wiederholt eine der Legenden, mit denen die AfD gern gegen Flüchtlinge agitiert: er behauptet, dass die Rettung von Flüchtlingen dazu führt, dass noch mehr Flüchtlinge "angelockt" werden.

Diese menschenverachtende These wird seit Jahren immer wieder aus der Mottenkiste geholt, aber dadurch wird sie nicht richtiger: es gibt mehrere Untersuchungen, in denen das Gegenteil festgestellt wird. Wissenschaftler des "Italian Institute for International Political Studies" haben von Januar bis Juni 2019 keinen Zusammenhang zwischen Rettungsaktionen und zunehmenden Flüchtlingszahlen beobachten können. Sozialwissenschaftler der Universität Oxford und der Scuola Normale Superiore in Florenz verglichen drei verschiedene Jahre. Ihre Auswertung zeigt: In Jahren, in denen die EU sich stark in der Seenotrettung engagierte, kamen nicht mehr Menschen in Europa an, als in einem Jahr, in dem kaum Seenotrettung stattfand. "Trotz weniger Seenotrettung erreichten nicht weniger Menschen die EU" (Elias Steinhilper, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung).

Durch die harte Politik der Anrainerländer wie Italien, Malta und Griechenland, die Druck ausüben, gibt es immer weniger Rettungsschiffe, und die Wahrscheinlichkeit, auf der Flucht zu sterben, ist inzwischen stark gestiegen. 2015 kamen 4 von 1000 Migranten, die die Odyssee über das Mittelmeer wagten, ums Leben. Inzwischen sind es 25 von 1000. Dabei gibt es internationale Seerechtsabkommen, die Schiffe verpflichten, in Not geratene Menschen aufzunehmen, und die auf diese Weise mit Füßen getreten werden.

Insgesamt gesehen ist die Flüchtlingsfrage aber zu komplex, als dass es "den einen" Schalter gibt, den man umlegen kann, um das Problem zu lösen. Hauptsächlicher Grund für Flucht ist immer noch die Situation in den Heimatländern. Die Menschen flüchten vor Bürgerkrieg, religiöser oder sexueller Verfolgung und Gewalt, und dazu tragen auch gern die Waffenhändler aus der ersten Welt bei. Deutschland ist immerhin viertgrößter Waffenexporteur weltweit, und die Menschenrechtslage scheint dem Aufsichtsgremium nur zweitrangig zu sein, wie man an Lieferungen an Länder wie Türkei, Ägypten etc. deutlich sieht.

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