07.10.2022

Aufstieg und Fall des "Arrowverse" - Serienkritik

Ich bin seit längerer Zeit großer Fan der miteinander verwobenen Serien des "Arrowverse", benannt nach dem ersten Serienhelden "Green Arrow", wobei die Serie zunächst den Nicht-so-ganz-Helden Oliver Queen nur "Arrow" nennt und "Green Arrow" wesentlich später in die Handlung eingeführt wird. Der Name der TV-Serie bleibt aber über die gesamte Laufzeit derselbe.

Zu diesem Comic-Universum wurden nach und nach mehr Serien und Helden zugefügt, die man auch gut aus den Papier-Comics und teilweise früheren Verfilmungen kennt - Flash, Supergirl, Batwoman, und auch einige B- und C-Promis der Comicwelt, wie "Legends of Tomorrow", "Constantine", "Black Lightning", "Star Girl", und viele weitere haben Gastauftritte, wie z.B. Lucifer. Aus Gastauftritten von Superman in der Supergirl-Serie wurde dann später sogar seine eigene Serie - "Superman und Lois", in der das Super-Leben mit zwei Söhnen beleuchtet wird, ähnlich wie in der 90er-Jahre-Serie "Lois und Clark", die sich auch im Wesentlichen auf das Beziehungsleben von Clark Kent und Lois Lane fokussiert hat. Das Superman-Problem der Woche war dort eher nebensächlich oder wurde nur als Anlass für eine Beziehungsdiskussion konstruiert.

Das für mich besonders Faszinierende an diesen Serien sind die Anspielungen auf Personen, Ereignisse oder Orte, die in den anderen Serien bedeutsam sind. Barry Allen z.B. hat mehrere Auftritte in "Arrow" als Forensiker, noch bevor er zu Flash wird. Die "Ferris Airline" wird mehrfach erwähnt und damit für die Fans angedeutet, dass in diesem Comic-Universum auch Hal Jordan oder andere "Green Lantern" existieren könnten (Spoiler: es gibt Spekulationen, dass John Diggle in der Abschlussfolge von Arrow beim Absturz eines UFOs einen Ring bekommen hat). Dieses übergreifende Prinzip einer "großen" Geschichte funktioniert für mich auch bei der Verfilmung der Marvel-Comics unglaublich gut. Ich finde die Idee mit den Infinitysteinen bei den Avengers einfach großartig, aber ich wollte hier ja über DC und das Arrowverse schreiben ;).

In der weiteren Entwicklung der Serien gab und gibt es sog. "Crossover", das sind fortlaufende Geschichten, in denen Charaktere aus mehreren Serien auftreten und in einer kleinen Fortsetzungsgeschichte ein übergreifendes Problem lösen, das alle betrifft. Zunächst waren dies kleinere Crossover, z.B. zwischen Flash und Arrow, Flash und Supergirl, später dann ein Crossover zwischen Flash und Arrow als Vorbereitung für den Start der neuen "Legends of Tomorrow"-Serie, und die nachfolgenden Crossover umfassten sogar sämtliche der aktuellen Serien.

In diesen Folgen nehmen sich die Charaktere auch gern mal auf die Schippe oder sprengen die "vierte Wand" (den Bildschirm) mit Sprüchen wie "letztes Jahr war ich die Neue" oder "beim letzten Crossover waren die Legends nicht dabei", wie man das bisher nur von "Deadpool" kannte, der einzigen Comicfigur, die sich der Tatsache bewusst ist, dass sie in einem Comic existiert.

Der Spaß an diesen Crossover-Folgen geht dann verloren, wenn durch die deutsche Ausstrahlung der zeitliche Zusammenhang zerrissen wird oder eine bestimmte Serie gar nicht in Deutschland legal zu sehen ist - die letzte Arrow-Staffel ist erst seit August 2021 bei Netflix zu sehen, die den vierten Teil des fünfteiligen Crossovers enthält. Den Anfang und den Schluss konnte man schon letztes Jahr bei Pro7 sehen, die überraschend mit nur wenigen Monaten Abstand die damals aktuellen Staffeln von "Supergirl" und "Legends of Tomorrow" synchronisiert ausstrahlten, und halbwegs zeitlich dazu passend erschien die erste Staffel Batwoman bei Amazon Prime. Mittlerweile kann man alle Serien bei Amazon oder Netflix sehen - leider nicht alle bei einem Anbieter.

Es mag Geschmackssache sein, aber man sollte besser auf Englisch schauen - viele Wortspiele funktionieren im Deutschen nicht besonders gut. Bei Amazon gibt es manche Staffeln nur in einer deutschen Sprachvariante in Prime, andere Sprachen dann nur gegen Bezahlung.

Leider gibt es viele Andeutungen und vorbereitende Szenen, die später aus verschiedenen Gründen nicht weiter verfolgt wurden. In Arrow Staffel 2 gibt es z.B. mehrere Auftritte von Charakteren, die Mitglieder der "Suicide Squad" werden. Prominent wird dabei sogar Harley Quinn angedeutet ("ich habe einen Doktor in Psychologie"), aber leider nicht realisiert, weil kurze Zeit später ein Kinofilm mit ihr gedreht wurde und die Rechteinhaber hier sehr streng zwischen Kino und Serie unterscheiden und trennen. Diese externen Gründe der Rechteinhaber waren auch dafür verantwortlich, dass bei "Smallville" Batman niemals auftauchte und Green Arrow zum inoffiziellen Sidekick des jungen Superman wurde. Detail am Rand aus dem "Crisis"-Crossover: der Superman aus dieser Parallelerde hat seine Superkräfte aufgegeben und lebt als normaler Mensch in Smallville auf der Farm der Eltern.

Umso überraschender, dass im letzten Crossover "Crisis on Infinite Earths", lose angelehnt an das gleichnamige Thema in den Papiercomics, der Schauspieler Ezra Miller des Kino-DC-Universums auftauchen durfte. Gerüchteweise wird umgekehrt der Serien-Flash Grant Gustin im Flash-Kinofilm einen kurzen Auftritt haben - immerhin hat der Kino-Flash die Idee zum Namen "Flash" während des "Crisis"-Crossovers bekommen.

Nun, ich wollte vom "Aufstieg und Fall" schreiben. Die Serie "Arrow" gefällt mir immer noch ausnehmend gut, aber nicht alle Staffeln gleich. Die "Supergegner" mit besonderen Fähigkeiten (Staffeln 2 bis 4) faszinieren mich mehr als die schlicht kriminellen Widersacher der späteren Staffeln (5 und 6). Besonders gut gefallen mir Andeutungen auf kommende Ereignisse, z.B. erwähnt R'as al Ghul schon in der 3. Staffel seinen Schüler Damien Darkh, der dann der Bösewicht in der vierten Staffel und als Teil der "Legion of Doom" in "Legends of Tomorrow" auftritt, und R'as al Ghul selbst wird schon in der ersten und zweiten Staffel angedeutet.

Serien werden auch dadurch strategisch verändert, wenn es Probleme mit Darstellern gibt, wie z.B. dem abrupten Ausstieg von Ruby Rose aus "Batwoman". Dies führte zu Veränderungen in Staffel 2, um das Verschwinden ihrer Figur "Kate Kane" zu erklären und einen Ersatz zu etablieren. Die neue Darstellerin, die die Rolle der Batwoman übernimmt, schlägt sich aber nach einem zähen Beginn eigentlich ganz gut. Die zweite Staffel ist insgesamt recht gut gelungen, mal schauen [Spoiler], wie die chirurgisch wiederhergestellte, gehirngewaschene Kate Kane (andere Schauspielerin) sich als Figur etablieren kann.

Problematisch für mich sind Figuren, die unlogisch oder sinnlos handeln und dadurch offensichtliche Chancen verschenken. Besonders extrem ist dies in der gesamten Flash-Staffel 5 aufgefallen, in der Cicada als Gegner nahezu in jeder Folge mit einem Hilfsmittel hätte besiegt werden können, aber eine oder mehrere Figuren während eines Kampfes tatenlos zusehen, bis er sich wieder aufrappelt und weiterkämpft oder flüchtet. Hier wurde mehr als deutlich, wie schwach die Dramaturgie dieses Gegners geplant war. Natürlich muss die Handlung so ablaufen, dass die üblichen 22 Folgen einer Staffel sinnvoll gefüllt werden, aber es muss für die Zuschauer glaubwürdig sein, wie dies geschieht. Insbesondere haben die S.T.A.R.-Labs einen "Metadämpfer" in Handschellen oder als Halskrause, den Flash in Supergeschwindigkeit anlegen kann. Auch mit "Arrow" habe ich einige Probleme, weil der Charakter von Oliver Queen zu stark den "Einzelkämpfer" mit teilweise sehr fragwürdigen Entscheidungen und Befehlen heraushängen lässt, obwohl es sowohl objektiv als auch durch frühere Erfahrungen klar sein sollte, dass Teamarbeit und effektive Kommunikation essenziell für erfolgreiche Aktionen sind.

Arrow und die anderen Serien wurden ab 2010 bislang hauptsächlich für das altmodische lineare Fernsehen produziert, und die Zuschauerzahlen einer Staffel entscheiden über die Verlängerung des nächsten Jahres. Nach und nach wurden nun mehrere Serien wieder eingestellt, die letzten Opfer von Absagen sind nun auch Flash, Batwoman und Legends of Tomorrow geworden. Die einzige "Neugründung" ist die Serie "Superman und Lois" als Ableger der Supergirl-Serie, die aber vermutlich auch keine vierte Staffel erleben wird. "Titans", "Doom Patrol" und "Stargirl" existieren trotz der "Crisis" nach wie vor in Paralleluniversen, wie man am Abspann des fünften Teils des Crossover sehen konnte. Nun gut, "Lucifer" hat auch noch eine sechste Staffel bekommen, aber es wird wohl keinerlei Crossover oder ähnliches mehr geben (abgesehen davon, dass Lucifer mehrfach seine Begeisterung für die TV-Serie "Bones" erwähnt und seine Tochter Chloe von "More Bones" mit Androiden in der Zukunft schwärmt). Die neue Serie "Naomie", die ganz lose ebenfalls im DC-Universum spielte, wurde nach nur einer Staffel schon wieder eingestellt, und derzeit gibt es keine legale Möglichkeit, diese Serie in Deutschland zu sehen.

Bei Streaminganbietern wie Netflix oder Amazon gibt es diese kurzfristige Sichtweise von Staffel zu Staffel nicht. Bei Netflix ist bekannt, dass die ersten Staffeln einer Serie relativ günstig lizensiert werden. Erst ab der dritten oder vierten Staffel wird Netflix mit höheren Lizenzkosten konfrontiert (z.B. von Marvel oder DC) und dies führt häufig zur Einstellung der Serie, wenn Netflix diesen Kostensprung nicht tragen will. Dies dürfte der Grund für das schnelle Ende von Serien wie "Jessica Jones", "Luke Cage", "Daredevil", "Punisher", "Iron Fist" oder "The Defenders" gewesen sein. Wie weiter oben schon erwähnt, führten Lizenzfragen auch zur Einstellung der "Daredevil"-Serie, weil die Gründung von Disney+ bevorstand und Disney die Figuren von Kingpin und Daredevil für eigene Filme und Serien verwenden wollte.

Umgekehrt kann es aber auch sein, dass Netflix hohes Interesse sieht und Serien dann länger produziert als ursprünglich geplant, wie es z.B. bei "Lucifer" aufgrund von massiven Protesten der Konsumenten geschehen ist, oder auch bei "Manifest", wo Netflix noch eine vierte Staffel produzieren lässt. Zunächst war Lucifer für Einstellung nach der dritten Staffel vorgesehen, wurde dann von Netflix übernommen und sogar nach und nach bis zur sechsten Staffel verlängert (nur in Deutschland läuft Lucifer bei Amazon in Lizenz).

Ein Fazit fällt mir schwer. Es gibt starke und schwache Handlungsbögen (Staffeln) bei allen Serien, je nachdem, wie gut und nachvollziehbar der jeweilige Bösewicht handelt. Ein Teil der Einstellungen ist sicherlich aufgrund finanzieller Erwägungen geschehen als Folge von schwachen Drehbüchern. Andererseits wurden Serien wie Arrow und Flash auch durch Lizenzentscheidungen beschädigt, als die Lizenzgeber in Kinofilmen oder einer eigenen Streamingplattform lukrativere Chancen sahen (Suicide Squad bzw. Disney+).

Insgesamt lebt(e) das Arrowverse davon, dass es Verbindungen zwischen den Serien gab und z.B. neu aufgelegte Serien schon frühzeitig angedeutet wurden (die Explosion bei Star Labs war eine Nachrichtenmeldung in Arrow, Flash befreit Arrow aus R'as al Ghuls Festung, Star Labs liefert Technik an Black Lightning, Argus liefert Technik an General Lane uvm.). Durch die Einstellung der Serien und die Entfernung von Figuren aus Lizenzgründen hat für mich die Glaubwürdigkeit des Gesamtkunstwerks deutlich gelitten. Flash und Supergirl leiden darunter, dass in vielen Folgen das Beziehungsdrama viel stärker gewichtet wird als die eigentliche Superheldenhandlung - besonders krass bei Flash. Iris West-Allen ist m.E. die meistgehasste Figur bei den Fans.

Für mich nach wie vor das Highlight aller Serien ist "Arrow". Die Rückblicke - immer 5 Jahre - passen dramaturgisch zur jeweils aktuellen Handlung und geben gleichzeitig Auskunft über die Entwicklung vom Playboy zum Vigilanten. Der Schluss der Rückblicke der fünften Staffel geht nahtlos und perfekt in den realen Anfang der ersten Staffel über - man kann also nach der fünften Staffel sofort wieder bei der ersten Staffel anfangen zu schauen.

Dicht gefolgt in meiner persönlichen Hitliste wird Arrow von "Legends of Tomorrow", die mit jeder Staffel mehr skurrilen Humor und Referenzen auf die Popkultur in das Serienuniversum bringen, z.B. die Erwähnung von "Supernatural" und der Besuch des Drehorts in einem Paralleluniversum. Dort mag ich besonders gern "John Constantine", und es gibt mir durchaus Befriedigung, dass es nach dem abrupten Ende seiner eigenen Serie nach nur einer Staffel wenigstens bei den "Legends" ein Happy End für Astra Logue gibt, die nicht mehr in der Hölle gefangen ist.

Das Fazit fällt aber immer mehr negativ aus. Die neue Superman-Serie spielt in einem Alternativ-Universum und nicht (mehr) in "Earth Prime", so dass hier bequem auf Konsistenz zu anderen Serien verzichtet werden kann. John Diggle hat zwar einen zweiten Gastauftritt und [Spoiler] verzichtet darauf, die geheimnisvolle Kiste zu öffnen, die er am Ende der letzten Arrow-Folge bekommen hat. Er wählt seine Familie statt eines ungewissen Abenteuers. Damit ist vermutlich die Chance auf eine John-Diggle-Green Lantern dahin und alle bisherigen noch offenen Anspielungen werden wir auch nicht mehr erleben. Die privaten Beziehungen der Charaktere haben bei allen Serien einen zu hohen Stellenwert. Dadurch werden zwar auch oft mehr oder weniger subtil, manchmal auch mit dem Vorschlaghammer, aktuelle politische und gesellschaftliche Themen problematisiert, wie z.B. Gleichberechtigung, sexuelle Orientierung, Rassismus, LGBTIQ, aber es wirkt nicht organisch integriert, sondern eher gekünstelt in die Serie aufgenommen, weil es gerade Mode ist. Die beste Integration von LGBTIQ war in Umbrella Academy das "Coming Out" von Viktor in Staffel 3 als trans (FtM). Es gibt eine kurze Feststellung, die anderen Geschwister nehmen es zur Kenntnis und fertig. Halbwegs geschmeidig funktioniert das LGBTIQ bei den "Legends", als Sarah Lance zunächst mit Oliver Queen liiert war und dann nach einem kurzen Techtelmechtel mit Supergirls Stiefschwester Alex (im Earth X-Crossover) dann den Klon Ava heiratet.

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