Unglaublich, wie schnell ein Jahr vergeht. Ja, tatsächlich ein Jahr ist es her, seit ich mich zum ersten Mal in der Hohen Landesschule in Hanau bei einem Theaterstück der
Dramateure wunderbar unterhalten habe.
Letztes Jahr wurde "Carpe Jugulum" gespielt, mit Vampiren und Religionskritik ein recht schweres Stück, aber mit Pratchett-typischer Leichtigkeit geschrieben, umgesetzt und inszeniert.
Neulich wurde im Newsletter "
Discworld Monthly" ein neues Theaterstück der Dramateure
angekündigt, nämlich
Faust Eric. Ätsch, ich wusste es vorher schon ;), es gab nämlich auch Ankündigungen auf Facebook in der
Gruppe der Dramateure.
Ich freue mich ganz besonders darüber, dass aus der ursprünglichen Schultheater-AG nun eine Gruppe geworden ist, die auch nach dem Schulabschluss vieler Mitglieder weitere Projekte durchführt. Wie ich auf der Webseite gelesen habe, war ich im letzten Jahr beim
zweiten Theaterstück, und "Wachen! Wachen!" im Jahr vorher habe ich leider nicht gesehen. Ich hoffe aber nun, dass es noch weitere Inszenierungen geben wird, da die Dramateure nun ihre Eigenständigkeit gefunden haben. Die Bühne der HoLa steht ihnen aber offensichtlich weiter zur Verfügung. Ich las aber auch von Andeutungen, dass es vielleicht Pläne für eine größere Bühne gibt ... Von "Eric" und "Wachen" gibt es auf der Website der Dramateure auch
schöne Bilder zu sehen.
Ich war am Freitag Abend etwas früher da, um meine reservierte Karte abzuholen (beide Vorstellungen waren nahezu ausverkauft), und aus einer spontanen Idee heraus griff ich mir noch schnell die Buchausgabe von
Faust Eric aus dem Regal, um mir die Wartezeit zu verkürzen und mein Gedächtnis aufzufrischen.
Faust Eric ist nicht so ganz mein Lieblingsbuch; es stammt aus einer sehr frühen Phase der Scheibenwelt, als Sir Terry noch Märchen, Konzepte und andere Werke aus der Sagenwelt recht direkt übernommen und verarbeitet hat. In den späteren Werken hat das stark abgenommen. Trotzdem es nicht mein Favorit ist, liest es sich sehr flüssig und ist witzig, aber (noch) nicht so tiefgründig wie die neueren Bücher.
Wie beim letzten Mal hat der Beamer vor Beginn ein wenig über die Scheibenwelt berichtet und die Schauspieler mit ihren Rollen vorgestellt. Da mir auf diese Weise schon einige Veränderungen zum Buch auffielen, war ich
sehr neugierig ;).
Zur Erinnerung: der erfolgloseste Zaubberer aller Zeiten (engl. "wizzard") Rincewind wurde bei seinem letzten Auftauchen im Buch "Sourcery" in die "Kerkerdimensionen" ("dungeon dimensions") geschleudert, in denen unaussprechliche Dinge geschehen.
In
Faust Eric wird nun berichtet, welche Odyssee seine Rückkehr darstellt (und das ist wörtlich zu nehmen, Sir Terry hat in diesem Buch nicht nur Goethes Faust als Vorlage verwendet, sondern auch Anspielungen an die gesamte griechische Mythologie eingearbeitet, vom Kampf um Troja, der Odyssee, den Sagen um Sisyphos und Prometheus und einiges mehr).
Vermutlich aus Besetzungsgründen hat der Bearbeiter des Stücks, Jonas Milke, einige Rollen und Namen leicht angepasst, so wurde aus dem Dämon Vassenego die Dämonin Vassenega, und dem Dämonenkönig Astfgl wurde eine Sekretärin Theszecka zur Seite gestellt, um einige der inneren Dialoge von Astfgl zum besseren Verständnis für das Publikum laut auszusprechen.
Ein kleiner Fehler ist beim Prolog vor dem Vorhang auf dem Podest bei den Gelehrten passiert: die Geschehnisse spielen nach der Handlung von "Sourcery", wie schon erwähnt. In diesem Buch kam der bisherige Erzkanzler ums Leben, und sein Nachfolger wurde für kurze Zeit "Ezrolith Churn". Im Theaterstück heißt der Erzkanzler "Mustrum Ridcully", der aber eigentlich erst deutlich später von Sir Terry in die Serie eingebracht wurde und "derzeit" (d.h. z.B. in den Büchern Night Watch, Thud, Unseen Academicals) immer noch der aktuelle Erzkanzler ist.
Die Kostüme und Verkleidungen waren mit viel Liebe zum Detail hergestellt, wie man vor der Aufführung schon diversen Facebook-Meldungen entgegennehmen konnte. Sie spiegeln die skurrile Scheibenwelt sehr gut wieder. Beim Publikum besonders beliebt aufgrund seiner unerwartet zügigen Fortbewegung war ein Wurm-Dämon, dessen Kostüm aus einem Schlafsack bestand.
Vermutlich aus der Überlegung heraus, dass nicht alle Zuschauer die Scheibenwelt in- und auswendig kennen, gab es zwei Erzählerinnen, die Zwischenbemerkungen zur Handlung einflochten und die üblichen Anekdoten und Fußnoten aus Sir Terrys Büchern sehr unterhaltsam und anschaulich einbrachten. Diese Idee hat schon im letztjährigen Stück sehr gut funktioniert.
Musik, Hintergrundgeräusche und Beleuchtung haben die Stimmung der jeweiligen Szene gut begleitet, das hat mir sehr gut gefallen.
Die Geschichte beginnt in der Unsichtbaren Universität in Ankh-Morpork, als die Gelehrten dort merkwürdige Erlebnisse von körperlosen Stimmen haben. Dies ist natürlich Rincewind bei seinen Fluchtversuchen aus den Kerkerdimensionen. Dies verursacht ein magisches Echo in der UU, das die Gelehrten bei ihren Mittagsschläfchen stört ...
Die Gelehrten beschwören wie üblich mit dem Ritual von Ashk'Ente den Tod, da er allgegenwärtig ist und deshalb über alles Bescheid weiß.
Zu den Teilnehmern des Beschwörungskreises gehört auch der Bibliothekar, für den sehr fürsorglich sogar zur Stärkung vor dem Ritual schon eine Banane auf dem Podest bereitlag ;)
Ohne die Fragen abzuwarten, erklärt TOD, dass Rincewind die Antwort auf die Frage sei. Er besteht darauf, dass die Antwort
immer "Rincewind" lautet, egal, welche Frage ihm gestellt wird. Rincewind ist
immer die Ursache von Problemen ;)
Die Stimme des TODs war elektronisch leicht verfremdet und kam dadurch dem
SPRECHEN IN VERSALIEN aus den Büchern recht nah.
Zur selben Zeit versucht in Pseudopolis ein 14-jähriger Junge, Dämonen zu beschwören. Durch ein kleines Mißgeschick benutzt aber nicht der vom obersten Dämonenkönig beauftragte Dämon Vassenego den magischen Kreis, sondern - Rincewind natürlich. Der Junge Eric Thursley (hier rechts mit dem falschen Bart, um älter zu erscheinen) verlangt von Rincewind, ihm Wünsche zu erfüllen.
(man beachte den Papagei links. er ist nicht tot!)
Nachdem Eric als
sehr junger Dämonologe geoutet ist und von seiner Mutter kurz abberufen wird, gibt es einen sehr unterhaltsamen Dialog zwischen Rincewind und dem Papagei. Dieser Papagei war meine Lieblingsfigur im Theaterstück, gespielt von der letztjährigen Oma Wetterwachs. Eine kleine Nebenrolle im Buch, aber im Stück sehr präsent und sehr witzig gespielt. Dazu ein sehr schönes buntes Kostüm. Einfach toll!
Als Papagei natürlich nicht mit überragendem Vokabular ausgestattet, ist für den Papagei so gut wie alles erst mal "Dingsbums" (engl. "wossname") und wenn die Instinkte überhand nehmen, kommt ein lautes "Polly will'n Keks" dazwischengekräht. Hier hat einfach alles zusammengepasst, Stimme, Mimik und Gestik! Sehr gut gemacht.
Eric kehrt zurück und versucht erneut, sich etwas zu wünschen. Rincewind spottet, dass er wohl nur mit den Fingern schnippen müsse, um seine Wünsche zu erfüllen, schnippt mit den Fingern ... und schon werden sie auf magische Weise hinwegtransportiert. Davon ist natürlich niemand mehr überrascht als Rincewind selbst ;)
Sie landen bei den Tezumanen, einem sehr depressiven Volk im Dschungel, das auf die Ankunft eines vorhergesagten Herrschers wartet, dem sie zunächst sehr ehrerbietig entgegentreten, ihn dann aber schlussendlich opfern wollen, weil sie ihn für ihre schlechte Situation verantwortlich machen wollen.
Die Bühnenbilder und der tragbare Thron des Königs Muzuma waren sehr schön und die Kostüme und Schminke der Tezumanen ganz beeindruckend. Ganz rechts die
etwas überlebensgroße Skulptur des Religionsgründers Quezovercoatl.
Rincewind trifft in einer Pyramide auf Ponca da Quirm (im Buch ein Forscher Ponce da Quirm, im Stück eine Forscherin) auf der Suche nach dem Jungbrunnen. Im Verlauf der Geschichte wird die "Gottheit" Quezovercoatl (in Wahrheit ein
sehr niederer und
sehr kleiner Dämon) von der Gepäckkiste ("Luggage") aus intelligentem Birnbaumholz im wahrsten Sinne des Wortes plattgemacht und unsere Helden (naja) können sich aus dem Staub machen. Ponca da Quirm und der Papagei trennen sich von Rincewind und Eric.
Rincewind und Eric kommen aber vom Regen in die Traufe, nämlich in eine Tausende Jahre zurückliegende Vergangenheit, gerade in der Nacht, als das "Trojanische Pferd" bzw. seine Scheibenwelt-Entsprechung in die Stadt Tsort gebracht wird. Die Tsortianer sind aber offensichtlich schlauer als die Trojaner, das Holzpferd wird gut bewacht und sie geraten gleich wieder in Gefangenschaft. Bei der weiteren Flucht öffnen sie aber trotzdem nahezu wie beabsichtigt ein Tor und die Epheber beginnen, die Stadt zu erobern. Sehr witzig gemacht, das fiktive Tor am Bühnenrand zu positionieren und das Publikum kurzerhand zum ephebischen Heer zu erklären ;). Das wurde auf einer der Beamer-Seiten schon angekündigt ... "Ephebische Armee: SIE". Klasse gemacht!
Rincewind steckt "aus Versehen" die Stadt in Brand und trifft seinen Vorfahren Lavaeolus ("Rinser of Winds"), dem er zwar nicht alles verraten will, ihm aber trotzdem prophezeit, dass er den Heimweg schaffen wird. Von der Länge der Reise verrät er ihm aber nichts ...
Lavaeolus wollte eigentlich die entführte Elenor retten, die sich aber in den vergangenen Jahren ganz gut mit König Mausoleum von Tsort arrangiert hatte und mittlerweile siebenfache Mutter ist. Enttäuscht reist er ab, in der Überzeugung, dass die Götter es trotz allem nicht
allzu schlecht mit ihm meinen. Naja, schau'n mer mal ...
Die Reise von Rincewind und Eric geht mit dem nächsten Fingerschnipsen weiter: sie reisen zum Anbeginn der Zeit, vor den Urknall. Dort erleben sie, wie ein Schöpfer (nicht
der Schöpfer) das Universum erschafft (eins von vielen) und dabei über die Vielfalt von Schneeflocken philosophiert. Der Schöpfer wurde vom letztjährigen Igor gespielt, und in beiden Rollen hat er eine wunderbar schräge Vorstellung abgeliefert. Wirklich wunderbar!
Sehr schön gemacht auch der Einfall, mit einer Fernbedienung das Stück "stumm" zu stellen, um dem Publikum die Lautstärke des Urknalls nicht zuzumuten. In der Zwischenzeit liefern die beiden Erzählerinnen weitere Hintergrundinformationen zur Handlung und zur Scheibenwelt.
Astfgl ist nach wie vor auf der Jagd nach ihnen, und da er sie in seinem magischen Spiegel nicht mehr beobachten kann, schlussfolgert er, dass sie entweder vor oder nach der Zeit befinden müssen. Er reist ans
Ende der Zeit und trifft dort nur den TOD. Unterwegs wird er von der Gepäckkiste überholt, bemerkt es aber nicht. Nachdem er sie am Ende der Zeit nicht gefunden hat, reist er zurück zum Anbeginn der Zeit, findet dort aber nur Fußspuren und einen magischen Kreis, mit dem Eric sich und Rincewind weggezaubert hat.
Sie landen in der Hölle (sehr schön der Dialog mit dem zweiköpfigen Wächterdämon Urglefloggah) und treffen dort auf Ponca da Quirm, die leider vergessen hat, das Wasser aus dem Jungbrunnen abzukochen, mitsamt Papagei, und auf Lavaeolus.
Nach einigen Verwirrungen stellt sich heraus, dass Vassenega die Odyssee verursacht hat, um ungestört im Hintergrund gegen Astfgl zu intrigieren und selbst Königin zu werden. Astfgl wird als "Präsident" mitsamt seiner von den Menschen abgeschauten Bürokratie in ein Hinterzimmer abgeschoben ("Die
Menschen haben das allein erfunden, ohne Tipps von uns? Und ich dachte, wir wären die Bösen").
Rincewind und Eric können unverletzt aus der Hölle flüchten. Alle sind am Ende glücklich, sogar der Schöpfer, der ein bißchen schummelt und einige sehr unübliche Schneeflocken erschafft.
Zu Recht gab es langen Applaus und Standing Ovations.
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(vlnr: Ponca da Quirm, Tezumanin, Dämonen, Rincewind, Papagei, Theszecka, Bibliothekar, tsortischer Philosoph, Erzählerin, Lavaeolus, Eric) |
(Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des Regisseurs der Dramateure, Jonas Milke, verwendet)