09.04.2013

Snuff - Terry Pratchett - Buchbesprechung

Seit einiger Zeit, genauer: seit dem letzten Urlaub, schiebe ich eine Buchbesprechung vor mir her. Das liegt aber nicht daran, dass mir das Buch nicht gefallen hat ... ganz im Gegenteil!

"Snuff" war eines der besten und spannendsten Discworld-Bücher, die ich aus der ganzen Reihe von mittlerweile knapp 40 Ausgaben gelesen habe.

Ein toller Krimi mit mehreren überraschenden Wendungen und das Ganze in einem Tempo vorangetrieben, dass ich das Buch (englisches ebook, deutsches ebook) kaum weglegen konnte. Andererseits gibt es auch ein paar Kritikpunkte, aber dazu gleich noch ...

"Snuff" ist die neueste Geschichte von, mit und über Sam Vimes, den Kommandanten der Stadtwache von Ankh-Morpork. Wir lernen das Landhaus kennen, das schon mehrfach in den früheren Büchern am Rande erwähnt wurde. Vimes, Lady Ramkin, Young Sam und Willikins machen einen zunächst nicht ganz freiwilligen Urlaub auf dem Land, wobei Vetinari auch seine Finger mit im Spiel hatte ... Schon beim ersten Besuch in der örtlichen Kneipe weiß Vimes, dass er einem Verbrechen auf der Spur ist, er hat nur die Leiche noch nicht gefunden ...

"Young Sam" ist mittlerweile ein bißchen älter geworden und hat dienselbe inquisitorische Neugier wie sein Vater; allerdings nicht auf kriminalistischem, sondern auf wissenschaftlichem Gebiet: er ist derzeit fasziniert von allen Arten fester Tierexkremente. Sein Lieblingsbuch ist "The world of Poo", in dem diese Rückstände diverser Tiere beschrieben werden. Das macht eine hübsche Nebenhandlung, weil nämlich die Autorin von "The world of Poo" eine wichtige Figur im Buch ist, die Sam Vimes im Verlauf der Handlung kennenlernt.

Wie üblich in den späteren Werken von Sir Terry finden sich recht tiefschürfende philosophische Gedankengänge über Menschlichkeit und die Toleranz gegenüber nichtmenschlichen Mitbewohnern der Scheibenwelt. Im vorigen Buch "Unseen Academicals" ging es um einen Ork, der unerkannt als Küchenhelfer in der "Unsichtbaren Universität" arbeitet und Fußball spielt, und in diesem Buch geht es um die Goblins, die unterirdisch leben und nur in Ausnahmefällen, und hauptsächlich nachts, ihre Höhlen verlassen.

Andere Bücher mit ähnlich filosofischem ;) Tiefgang sind "Small Gods", "Carpe Jugulum" und "Night watch", in denen ebenfalls die konsequente Anwendung von Regeln für alle diskutiert wird, allerdings mit durchaus unterschiedlichen Ansätzen, aber dazu mehr in einem anderen Artikel.

Vimes entdeckt einen ruchlosen Mord an einem Goblin-Mädchen zur Vertuschung eines anderen Verbrechens, und die Aufklärung des Falls führt ihn auf die Spur eines groß angelegten Drogenhandels, in den sein alter Feind Lord Rust und dessen Sohn Gravid verwickelt sind. Sie stellen Drogen her und verwenden dazu versklavte Goblins, die sie aus ihren Höhlen gezerrt und in Howondaland ("Wiewunderland" in den deutschen Büchern) auf einer Art Plantage zu arbeiten zwingen.

Der (erste) Showdown mit dem gedungenen Mörder auf einem Schiff während eines schlimmen Sturms war dermaßen fesselnd und packend, dass ich beinah das Mittagessen im Hotel ausfallen ließ.

Die unterirdischen Szenen in der Goblin-Höhle fand ich zwar in sich logisch und gut beschrieben, aber die neue Superfähigkeit von Vimes, im Dunkeln zu sehen und Goblin-Sprache zu verstehen, hat mir nicht gefallen. Vimes sollte ein normaler Mensch bleiben und seine Fälle nicht mit Hilfe von Superkräften lösen (diese besondere Fähigkeit hat er in "Thud!" erworben, und wird "Summoning the Dark" genannt, das "Dunkle" heraufbeschwören). Ich habe die Befürchtung, dass aus diesen Superkräften schnell ein "Deus ex machina" wird, statt eine plausible Lösung in die Handlung zu bringen. Die Ehrfurcht seines Hilfspolizisten ist Vimes natürlich gewiss ;). Was genau dieses "Dunkle" ist, wird nicht genauer erklärt - ob es tatsächlich ein fremdes Wesen ist, das Vimes gelegentlich seine Kräfte ausleiht, oder ob es ein Teil von Vimes ist und die Gespräche dann mit ihm selbst stattfinden.

Als (schlechtem) Hobby-Musiker und -Sänger hat mir natürlich sehr gefallen, dass er mit einem kleinen Trick die Gleichberechtigung für die Goblins erwirkt: er lässt ein Goblin-Mädchen, das wunderbar Musik spielen kann, im Theater in Ankh-Morpork auftreten, und die anwesenden Honoratioren können nach diesem unglaublichen Auftritt gar nicht anders, als die Gesetzgebung entsprechend zu erweitern, damit Goblins dieselben Bürgerrechte erhalten wie alle anderen Rassen (Trolle, Vampire, Untote, Zwerge, ...). Hier hat insbesondere Lady Ramkin im Hintergrund mitgewirkt, weil sie natürlich die gesellschaftlichen Kontakte hat, um den anderen Stadtadligen eine Einladung auszusprechen, die diese nicht ablehnen können ;)

Besonders gut gefällt mir, wie das Verhältnis zwischen Vimes und Lady Ramkin beschrieben wird: sie ist eine resolute, selbstbewusste Frau, und sie ist stolz auf ihren Mann (obwohl sie immer Angst um ihn hat). Beiden gemeinsam ist dieselbe strikte liberale und deshalb kompromißlose Grundeinstellung und die Achtung vor dem Leben, und sie unterstützt ihn, wo immer sie kann. Umgekehrt kennt Vimes genau seine Grenzen und weiß, wo er besser seine Frau schalten und walten lässt.

Der Butler Willikins bekommt in dieser Geschichte eine deutlich größere Rolle als in den früheren Geschichten um die Stadtwache: auf dem Schiff nach dem ersten Showdown tauscht er mit Vimes Rolle und Kabine, um den Mörder zu stellen, und er ist sogar am Ende derjenige, der den bezahlten Mörder auf der Flucht stellt und ihn besiegt.

Fazit: ein tolles, temporeiches Buch. Lesebefehl!

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