27.08.2013

Leserbrief zum Leserbrief: Einfältigkeit

Heute fiel mir bei der Lektüre der Leserbriefe mal wieder die Kinnlade 'runter
... Oder eigentlich auch nicht, von diesem Autor hatte ich nicht wirklich etwas wesentlich anderes erwartet. Die übliche Rot/Grün-Hetze und dann plötzlich ein Rundumschlag: alle Menschen, die das Abhören durch die NSA nicht gut finden, sind einfältig.

Genauer gesagt, schrieb er in einem Absatz dieses hier:

"Auch die NSA-Panikmache beeindruckt nur einfältige Menschen, denn es ist logisch, dass keine Lauscher weltweit den Smalltalk von Lieschen Müller und Karlchen Mustermann verfolgen. Wäre personell gar nicht möglich. Computer durchforsten die aufgezeichneten Daten nach verdächtigen Inhalten, und das ist auch gut so. Terroristen und Kriminelle haben ohnehin immer einen gewissen Vorsprung. Herr Snowden hat diesen Individuen jedenfalls mitgeteilt, worauf sie in Zukunft achten müssen, um nicht entdeckt zu werden."

Dazu musste ich eine Antwort schreiben. Leider ist mir zu der Bemerkung mit dem "gewissen" Vorsprung erst jetzt aufgefallen, dass hier der Grundsatz "Der Zweck heiligt die Mittel" durchschimmert und die Idee, dass der Staat -- natürlich nur heimlich -- auch illegale Mittel anwenden darf, um mit den Bösewichten mitzuhalten. Das tut schon ganz schön weh zwischen den Ohren, sowas zu lesen.

Leserbrief zum Leserbrief WZ 23.08.2013

Lieber Herr von N., ich bin beeindruckt von der Schärfe und Knappheit, in der Sie den Rest der deutschen Bevölkerung als "einfältig" bezeichnen. Ich bekenne mich schuldig: ich bin einfältig und naiv.

Ich habe nämlich bislang (halbwegs) daran geglaubt, dass wir in einem Rechtsstaat leben, und dass unsere Nachbarn ebenfalls eine demokratische Grundeinstellung haben, die sich hauptsächlich an den Menschenrechten orientiert und nicht an einem vagen Sicherheitsbedürfnis des Staats.

Mittlerweile ist es ja soweit gekommen, dass in England Antiterrorgesetze zur Abschreckung von Journalisten missbraucht werden, um ausländische Staatsbürger im Transit festzuhalten, ihre Passwörter abzupressen und ihre elektronischen Geräte zu beschlagnahmen, weil dort *vielleicht* journalistische Quellen gespeichert sind.

Selbstverständlich ist es so, dass die Emails von Lieschen Müller unwichtig sind. Ist es trotzdem in Ordnung, dass sie routinemässig durchsucht werden? Sie finden also, das es nicht schlimm ist, wenn ausländische Geheimdienste, teilweise sogar auf deutschem Hoheitsgebiet (z.B. in Darmstadt-Griesheim oder in Bad Aibling), gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen, Abhörzentralen unterhalten und alles mitlauschen, und vor allem auf Vorrat mitschneiden und aufzeichnen? Und Sie finden es ebenfalls nicht schlimm, dass Geheimdienste die UNO und EU-Diplomaten abhören? Natürlich ist das alles nur zu unserem Besten, ganz klar. Nicht, um den USA wirtschaftliche oder politische Vorteile zu verschaffen. Nein, nein.

Nicht mal unser Bundespräsident teilt Ihre Meinung. Er hat kürzlich in einer Stellungnahme gesagt, "Die Angst, unsere Telefonate oder Mails würden von ausländischen Nachrichtendiensten erfasst und gespeichert, schränkt das Freiheitsgefühl ein". Ich denke, er weiß als Ostdeutscher und vor allem als ehemaliger Chef der Stasi-Aufklärungsbehörde sehr genau, wovon er spricht.

Selbst wenn Sie denken, dass Sie nichts zu verbergen haben: Kommunikation braucht zwei Partner. Wissen Sie alles über Ihren Gesprächspartner? Wissen Sie, ob er nicht vielleicht im Fokus der Überwachung steht? Dann sind Sie automatisch auch verdächtig, allein aufgrund Ihrer Bekanntschaft. Upps.

Bitte lesen Sie diesen Artikel in Spiegel Online: "5 schlechte Argumente für mehr Überwachung".

Das Problem ist ja nicht, dass Daten von einer Quelle oder einem Gespräch gespeichert werden, sondern die Verknüpfung von Daten aus vielen Quellen, und die Gefahr von Fehlschlüssen und wildgewordenen Algorithmen - oder schlichten menschlichen Fehlern. Ich erinnere an Terry Gilliams dystopischen Film "Brazil", in dem durch eine tote Fliege im Drucker der Name "Tuttle" zu "Buttle" wird, und deswegen ein Unschuldiger von der Polizei getötet wird. Von 2008 bis 2011 wurden durch "technische Fehler" in USA verbotenerweise mehr als 50.000 inländische Emails (jährlich!) abgeschnorchelt. Hoppla. Ich dachte bislang, Geheimdienste sind unfehlbar? Hoffentlich wurde nicht durch einen weiteren technischen Fehler eine Drohne in Marsch gesetzt; Richter und Henker in einem, ohne ein rechtsstaatliches Verfahren zwischen Anklage, Verurteilung und Hinrichtung, und das alles unter der Regierung eines Friedensnobelpreisträgers.

Es geht um die flächendeckende Abschöpfung des Internetgebrauchs, nicht nur um sogenannte Metadaten, sondern um alle Daten inklusive der https-verschlüsselten: E-Mails, Chat, Suchanfragen, Videotelefonate, Käufe. Das wäre so, als ob jeder Mensch dauerhaft per Video total überwacht wird. Wer weiß, was man in ein paar Jahren mit diesen gespeicherten Daten anstellen kann?

Das eigentliche Ziel von Terrorismus ist es, Angst zu verbreiten. Viel mehr Angst, als tatsächlich Gefahr besteht. Bei Ihnen hat es schon geklappt.

Wäre ich Amerikaner, hätte ich mehr Angst vor meinen "normalen" Mitmenschen oder vor Kühen als vor Terroristen. Durch privaten Waffenbesitz sterben jedes Jahr knapp 35.000 Menschen in den USA, von Kühen werden jährlich mehr als 100 Menschen totgetrampelt.

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