[veröffentlicht am 07.11.2024]
Deutschländer und Anastasiadis: wer könnte so ein Söder-Interview auch sonst leiten als die üblichen Verdächtigen, die regelmäßig sehr konservative Glossen in der WZ verzapfen und immer noch nicht verstehen wollen, dass sie damit nur den Themen der AfD hinterherlaufen.
Was genau macht ein lokaler Provinzfürst aus Bayern in einer mittelhessischen regionalen Tageszeitung? Er bringt die üblichen Behauptungen über “Migration” als wichtigstes Thema Deutschlands, verbunden mit finanziellen Forderungen zu Kürzungen, die jenseits der verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Regelungen liegen. Besonders spannend an dieser mentalen Kehrtwende ist, dass fast alle CDU- und CSU-Politiker im Bundestag 2022 für das Bürgergeld gestimmt haben, nämlich 176 von 197 (1 Nein, 1 Enthaltung, 19 abwesend). “Migration” ist meistens ein Sammelbegriff, um die Angst vor Kriminalität durch Ausländer zu schüren. Dabei geht die Kriminalitätsrate seit Jahren deutlich zurück. 2012 gab es 770.000 Verurteilungen, 2022 nur noch 650.000 (minus 16 %). Anmerkung: die Kriminalitätsstatistiken von Bund und Ländern geben die Zahl der Ermittlungen wieder, nicht die Zahl der Verurteilungen.
Zurück zu Söder: er ist der einzige deutsche Politiker, der es bei Twitter in die Hitparade der Korrekturen über Desinformation geschafft hat, die sog. “Community Notes”, die aufdecken, wenn ein Beitrag Unfug behauptet - und das tut er mit großer Regelmäßigkeit.
Söder ist eigentlich kein Politiker mehr, schon gar nicht Ministerpräsident: er verbringt den Großteil seiner Zeit in Bierzelten (110 Sauftermine in 10 Monaten!) und verbreitet dort populistischen Quatsch. Er versäumt 25 von 30 Landtagssitzungen sowie 70 von 80 Bundesratssitzungen. Twitter nennt ihn mittlerweile spöttisch “Food Blogger”, weil er mit seinem jährlichen Etat von 7,3 Mio. Euro für Selbstbeweihräucherung gern mal fotogen Drogen aus dem Maßbierkrug konsumiert oder riesige Schokoladeneier verschenkt. Trotz diverser Skandale hält er immer noch an seinem inkompetenten Wirtschaftsminister fest: Bayern ist immerhin führend beim Sterben der Bauernhöfe (über 13.000) und beim negativen Wirtschaftswachstum (mit 0,6 % mehr als doppelt so viel wie der Bund).
Im Interview vom 24.10. behauptet er großzügig, dass er sich nicht in die Politik der anderen Bundesländer einmischt, aber in allen sozialen Netzwerken tönt es nahezu täglich von ihm, dass es keine schwarz-grüne Zusammenarbeit geben wird (obwohl das in 6 Bundesländern leidlich gut funktioniert).
Söder behauptet regelmäßig, dass der Bund Bayern benachteiligt und dem Land Geld fehlt. Dabei unterschlägt er gern, dass er besonders stolz auf die drei CSU-Verkehrsminister war, die zuletzt für mehr als zehn Jahre sehr viel Förderung nach Bayern gepumpt haben, oder dass die Gelder einfach deswegen fehlen, weil gar keine Förderanträge gestellt wurden.
Beim Glasfaserausbau liegt Bayern auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer. Bayern hat noch keine Aufstellung über die Hochwasserschäden, verlangt aber jetzt schon Zahlungen aus Berlin und behauptet auf Twitter, dass aus Berlin “0 Euro” kommen. Aiwanger schreibt täglich Briefe an Habeck und bettelt um mehr Geld, streicht aber die eigene Unterstützung für Flutopfer. Bayern ist sehr energisch beim Verhindern von Windkraftanlagen und Stromtrassen, wehrt sich aber vehement, dann die Konsequenzen für diese Verweigerungshaltung zu tragen (z.B. Strompreiszonen).
Das war kein Interview, sondern großzügige mediale Streicheleinheiten für Söders Selbstdarstellerei. Schade um den verschwendeten Platz.