28.03.2023

Serienkritik: Die Bande aus der Baker Street ("The Irregulars")

Kürzlich bin ich durch den Vorschlag von Netflix auf die Serie "The Irregulars" gestoßen, und trotz der gängigen Empfehlung, keine Serie zu schauen, die nur eine Staffel hat, oder die abgesetzt wurde, hab ich sie mir angeschaut.

Da ich Sherlock Holmes sehr gern mag (sowohl die Geschichten als auch die Verfilmungen, z.B. die BBC-Serie mit Benedict Cumberbatch und die beiden Filme mit Robert Downey Jr.), habe ich mir die übersichtlichen 8 Folgen gegönnt.

Die Geschichte ist gut erzählt. Es gibt einen Hintergrund, der sich über alle Folgen erstreckt und sich nach und nach dem Zuschauer erschließt. Die Charaktere werden von den Schauspielern gut gespielt. Die "Handlung der Woche" bzw. Episode passt sich gut in den Ablauf ein, und im Lauf der Handlung erfährt man, welche Ursache allen Vorfällen gemeinsam ist. Es gibt einige überraschende Enthüllungen und Wendungen. Die Bösen sind nicht so böse, und die Guten sind eigentlich auch nicht gut, all das ist nachvollziehbar und schön erzählt. Ich konnte nur mit dem royalen "Flüchtling" nicht so warm werden, der sich aus dem Palast schleicht, um Abenteuer zu erleben und sich zufällig mit den künftigen Irregulars anfreundet. Das ergibt natürlich im Lauf der Handlung die üblichen Verstrickungen, Vorwürfe der Lüge usw. Das ist erwartbar langweilig, der Ärger darüber hält sich aber in Grenzen, weil es nicht allzu breit ausgewalzt wird.

Trotz alledem bleibt am Ende ein diffuses Unbehagen: es ist eine gute gemachte Mystery-Geschichte mit einem Versatz von Ideen aus diversen Mythologien, aber der Ansatz, es eine Sherlock Holmes-Geschichte zu nennen, ist verkehrt. Die Handlung würde ohne die Nennung von Holmes und Watson genauso funktionieren. Die Figur Sherlock ist in der Handlung vollkommen bedeutungslos. Ohne groß zu spoilern: sowohl Holmes als auch Watson sind jeweils Teil der Ursache für alles, was vorgefallen ist. Aber die Figur Sherlock in der Großartigkeit und Zerrissenheit von Sir Arthur Conan Doyle wird nicht verwendet. Auch die Reduktion der "Irregulars" von Holmes auf eine einzige kleine Gruppe von 5 Jugendlichen, fast schon Erwachsenen, gefiel mir überhaupt nicht. Die einzige Anspielung auf die Figur im Sinn von Doyle ist der Vorwurf, den Alice ihm macht, als sie ihn bezichtigt, seine brillianten Deduktionen nur für den Glanz der Bewunderung zu machen und somit seine persönliche Eitelkeit zu befriedigen. Das bleibt aber vollkommen ohne weitere Konsequenzen für den Rest der Handlung.

Von daher denke ich, dass die Verknüpfung der Geschichte mit Sherlock Holmes nur von der Berühmtheit des Londoner Detektivs profitieren will und den Charakteren der Serie damit eine Hintergrundgeschichte übergestülpt werden soll, denen die Figuren nicht gerecht werden können. Die klassische Figur Sherlock Holmes wird massiv dekonstruiert, als er während seiner kalten Entziehungskur Schlussfolgerungen zieht wie sein früheres Ego, aber jedes Mal daneben liegt. Das ist eine sehr kalte Dusche für den Zuschauer. Am Schluss, vor dem Showdown, hat er einen Moment der Klarheit, als er Alice gesteht, dass er als Vater versagt hat und sich vor seiner Depression in die Sucht geflüchtet hat.

Die "Irregulars" von Doyle sind gerade keine feste Gruppe, sondern die Bezeichnung für die zahllosen Straßenkinder, die Holmes regelmäßig für Informationen bezahlt, um über alle Londoner Geschehnisse im Untergrund auf dem Laufenden gehalten zu werden. In der Serie bildet Watson (nicht Holmes) erst diese "Irregulars" für konkrete Aufträge (und versucht sie relativ schnell darauf wieder los zu werden, als sie auch über ihn unbequeme Fragen stellen) und löst dadurch die weiteren Geschehnisse aus.

Das abrupte Ende nach der ersten Staffel lässt ein wenig Raum für Spekulationen. Es hätte eine Fortsetzung geben können, aber das Ende ist in sich schlüssig und steht ohne große Schmerzen für sich selbst.

Einen Spoiler mute ich dem Blogleser zu:

Als Holmes-Fan ist es natürlich eine Katastrophe, dass Holmes sich a) verliebt hat, b) ein Kind mit Alice hatte, und c) sich hinter Alice her ins "Purgatory" (Fegefeuer) stürzt. Wir wir alle wissen, ist die einzige große Liebe in Sherlocks Leben Irene Adler gewesen. Watsons Geständnis, dass er in der Vorgeschichte Sherlock statt Alice gerettet hat, weil er in Sherlock verliebt ist, löst dann auch keine große Verwunderung aus. Watson ließ sich von seiner Eitelkeit treiben, es dem großen Holmes gleich zu tun, um von ihm als gleichwertig anerkannt zu werden, weil "Holmes" eigentlich zwei Personen seien, die nur zusammen funktioniert hätten, um Fälle zu lösen. Genau wie Holmes wird die Doyle'sche Figur Watson dekonstruiert - bei Doyle ist er ein Bewunderer von Holmes' Intellekt und Chronist der gemeinsamen Abenteuer. Diese Figur ist in ihrer Rolle verankert und sich der Anerkennung durch Holmes sicher, muss sich also nicht künstlich hervortun.

Trotz aller Schwächen würde die ich Serie empfehlen. Gute Unterhaltung mit überschaubarem Zeitaufwand.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen