17.03.2023

Schulsystem und Bildung - Leserbrief

Die Glossen der WZ sind in letzter Zeit eine Aufforderung zum Kommentieren ... :-)

[veröffentlicht am 21.03.2023]

Fr. Warnecke wünscht sich in einer Glosse, dass Deutschland ein besseres Bildungssystem braucht.

Das könnte funktionieren, wenn die verantwortlichen Politiker anfangen, sich für die Realität in den Schulen zu interessieren und man vielleicht sogar die heilige Kuh des Bildungsföderalismus in bestimmten Bereichen schlachten kann.

Hr. Lorz erzählt seit Jahren, dass die Versorgung der Schulen mit Lehrern mit 105% über dem “Soll” liegt.

Er vergisst dabei nur einige Details, die diese 105% dann gleich wieder relativieren:

  • wenn eine Lehrkraft durch Elternzeit langfristig ausfällt, wird sie trotzdem zu den 105% gezählt;
  • in der Oberstufe gibt es prinzipiell keinen Vertretungsunterricht, nur “eigenverantwortliches Arbeiten”;
  • eine Vertretungskraft kann nur neu eingestellt werden, wenn der Ausfall mehr als 6 Wochen beträgt;
  • die Krankheitsquote der hessischen Lehrer liegt deutlich darüber;
  • gerade jetzt fehlen bis zu 20% der Lehrer wegen der heftigen Corona-Welle.

Hinzu kommt, dass das Kultusministerium über den tatsächlichen Ausfall gar nicht Buch führt (oder führen will?). Wenn man als Elternteil nachfragt, können weder das Schulamt als untere Behörde noch das Ministerium Auskunft geben, wieviele Stunden konkret ausfallen.

Zwar gibt es seit November 2022 das FLIS-System, mit dem Fehltage erfasst werden, doch dieses System auf SAP-Basis bietet lediglich die Arbeitgebersicht auf ganze Fehltage (z.B. bislang 6,6% Fehltage aller Lehrer in Hessen bei insgesamt 1,8 Mio. Arbeitstagen). Damit ist immer noch keine qualitative Aussage über den Ausfall pro Fach, pro Jahrgang o.ä. möglich.

Die Daten liegen - natürlich - dezentral bei den Schulen vor, aber sie werden nicht systematisch erfasst, um z.B. mittel- und langfristig die Ausbildung von künftigen Lehrkräften zu planen. Fragen Sie doch mal bei Eltern nach, was ihre Kinder über Unterrichtsausfall erzählen!

Was viel wichtiger wäre als Arbeitstage: eine Erfassung von Fehlstunden aus Schülersicht: welcher Unterricht in welchem Fach ist ausgefallen? Diese Metrik sollte dem Curriculum gegenübergestellt werden, also dem Lehrplan, wieviel Unterricht pro Fach vorgesehen ist. Erst mit dieser Bewertung kann eine langfristige, sinnvolle Ressourcenplanung stattfinden.

Aus Elternsicht ist eine fachfremde Vertretung nur eine Betreuung, aber kein qualifizierter Unterricht. Hinzu kommt, dass externe Kräfte (sog. U-plus-Kräfte) keinen Fachunterricht halten *dürfen*, selbst wenn sie dazu qualifiziert wären (z.B. Lehramtsstudierende).

Auch die Qualität der Lehrerausbildung an den Universitäten ist gelinde gesagt heterogen. Die prüfungsrelevanten Anforderungen während des Studiums erstellt jede Hochschule für sich selbst, und beim Wechsel von einer Uni zu einer anderen ist es ein Lottospiel, welche Vorlesungen, Seminare etc. anerkannt werden. Die “Freiheit der Lehre” und somit die Ausbildung der Lehrer:innen unterliegt nämlich dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst, und das Kultusministerium kommt erst beim Referendariat und bei den Abschlussprüfungen ins Spiel.

Als weiteres Damoklesschwert zeigt sich die föderale Zersplitterung: jedes Bundesland hat ein anderes Curriculum, somit gibt es in vielen Fächern Schulbücher in bis zu 16 Varianten, und das auch noch parallel von mehreren Verlagen, und sogar noch in Ausgaben für G8 und G9. Absurderweise werden viele Schulbücher von Lehrer:innen geschrieben, die dafür vom Dienstherrn freigestellt werden, und das Urheberrecht am Ergebnis liegt trotzdem bei den Verlagen, die sich dann den Verkauf an die Schulen teuer bezahlen lassen. 

Das Sahnetüpfelchen ist Söder, denn auch in Bayern fehlen Lehrer:innen, die er nun aus anderen Bundesländern mit Prämien abwerben will, was nicht nur dem Bayerischen Elternverband aufstößt, sondern überraschenderweise sogar der Bertelsmann-Stiftung.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen