12.09.2024

Gibt es nur die Migration als Thema? - Leserbrief

Die WZ kennt in den Glossen der letzten Wochen anscheinend nur noch das Thema Migrationspolitik.

[veröffentlicht am 12.09.2024]

Der Glossist Schier macht am 04.09. denselben Denkfehler wie Sattler am Tag vorher: er fokussiert sich darauf, dass die Ampel und die Verlierer der Landtagswahlen “nicht genug” Migrationspolitik betrieben haben. Es ist ein Fehler, den Themen hinterher zu laufen, die die rechtsextremen Parteien setzen, und zu versuchen, es ihren Wählern “irgendwie” recht zu machen. Abgesehen davon haben wir ganz andere Probleme zu bewältigen als uns nur monothematisch auf die Migrationspolitik zu fokussieren. Warum nur glossieren sich die Schreiber jeden Tag an diesem einzelnen Thema die Finger wund?

Man sieht, dass es nötig ist, eigene Positionen zu besetzen statt nur dem politischen Gegner bei seinen Themen zu folgen. Das geht immer schief. Merz wollte die AfD “halbieren” und hat sie nur gestärkt. Statt diesen sehr lauten Warnschuss als das zu nehmen, was er ist, nämlich ein Weckruf, die Demokratie gemeinsam zu schützen, toben die sogenannten christlichen Parteien in Gillamoos weiter und skandieren am Rednerpult fremden- und demokratiefeindliche Parolen. Negatives Extrem ist mal wieder Söder, der die Entscheidung von Gerichten durch Entscheidungen des “Volkes” ersetzen will. Eigentlich müsste bei solchen Stammtischparolen sofort der Verfassungsschutz einschreiten! Söder inszeniert sich als Bierzeltagitator, der pro Jahr 7 Mio. Euro für Selbstdarstellung, Fotos und Pressearbeit ausgibt. Er besucht in zehn Monaten 110 Bierzelte, schwänzt aber 25 von 30 Landtagssitzungen.

Es ist jetzt nötig, dass alle demokratischen Parteien in Sachsen und Thüringen zusammenstehen und eine Regierung mit Beteiligung von AfD und/oder BSW verhindern. Das klingt vordergründig in sich selbst undemokratisch, aber: die AfD ist dort “gesichert rechtsextrem” eingestuft, und BSW ist offensichtlich das Sprachrohr Putins, der vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher zur Verhaftung ausgeschrieben ist und eigentlich bei seinem Besuch in der Mongolei tatsächlich hätte verhaftet werden müssen. BSW hat keine demokratische Struktur: die 650 Mitglieder sind handverlesen.

Zur Erinnerung: auch 2019 hat die AfD schon an den 30 % gekratzt, und das war definitiv nicht die Schuld der Ampel, die seit Ende 2021 regiert, und das halbwegs erfolgreich, trotz der permanent querschießenden FDP mit ihrer Lobby- und Klientelpolitik.

Die Migrationspolitik läuft seit Jahren grundsätzlich schief: es hätte spätestens 2015, mindestens aber nach den Bränden und anderen unsäglichen Zuständen in den Lagern, etwa in Griechenland, eine konsolidierte, gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik geben müssen, um alle Geflüchteten nach der Kapazität aller EU-Länder zu verteilen. Ursächlich für die Fluchtbewegungen sind Krieg und Hunger, und auch daran ist die Erste Welt nicht ganz unschuldig.

Das Dublin-Abkommen, das den Asylantrag im Land der ersten Ankunft erzwingt, ist grober Unfug und natürlich wunderbar bequem für Binnenländer wie Deutschland, die faktisch keine Außengrenzen für ankommende Flüchtlinge haben. Stattdessen werden zur Abschreckung die Flüchtlinge in Lager gesperrt oder die ankommenden Boote werden abgedrängt und zurück ins offene Meer geschleppt. Es gibt Videoaufnahmen, dass Polizeiboote sogar absichtlich Boote beschädigen. Die schikanöse Behandlung von NGO-Rettungsschiffen, die nicht in Italien anlegen dürfen oder nicht einmal medizinische Notfälle das Schiff verlassen dürfen, trägt ein Übriges dazu bei, dass man sich als humanistisch denkender Mensch schämen muss. Ganz vorn bei diesen menschlichen Katastrophen steht Orbán, der sich seit langem bei einem Verteilungsschlüssel für Geflüchtete querstellt.

Die Medien, allen voran die politischen Talkshows, tragen eine gehörige Mitschuld am Erstarken von antidemokratischen, rechtsextremen Parteien. Immer wieder werden rhetorisch talentierte Extremisten eingeladen und dürfen, meistens unwidersprochen, ihre kruden Behauptungen zur besten Sendezeit von sich geben. Die Moderatoren sind selten in der Lage, dem etwas Substanzielles entgegen zu setzen, weder sprachlich noch inhaltlich. Die “Faktenchecks”, die dann hinterher im Internet nachgeschoben werden, erreichen danach nur noch einen Bruchteil des Publikums, und die Nachbetrachtungen in den anderen Medien übernehmen zwecks Klickzahlen nur die knalligsten Schlagzeilen, und damit ist der Schaden angerichtet.

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