[veröffentlicht am 17.05.2024]
Die Glosse von Hr. Deutschländer am 29.04. hat ja wenigstens eine klare Aussage: die Regierung soll sich auflösen, am besten vorgestern, damit die FDP wenigstens jetzt noch eine kleine Chance hat, bei Neuwahlen wieder in den Bundestag zu kommen.
So klar drückt sich Hr. Anastasiadis am 27.04. nicht aus: er kann sich nicht entscheiden, welche Richtung seine Glosse nehmen soll: will er hauptsächlich über das Stürmchen im Wasserglas schreiben, das gerade vom Cicero-Magazin als angeblicher Skandal “aufgedeckt” wurde, oder will er die Verschwörungstheorie pflegen, dass die Öffentlich-Rechtlichen Medien nicht darüber berichten würden.
Zur Einordnung: “Cicero” hat vom Wirtschaftsministerium ein paar Aktenvermerke (genauer: zwei Aktenordner) zusätzlich bekommen, die die Entscheidungsfindung vor der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke dokumentieren. Das rechtslastige Magazin wertet dies als großen Erfolg, weil dazu ein Gerichtsurteil “nötig” war. Insbesondere ein Vermerk wird als Beweis für ein “grünes Netzwerk” zitiert: eine Anmerkung eines Referenten, dass man die KKW weiterbetreiben könne, was allerdings mit hohen Risiken verbunden sei. Das Stürmchen im Wasserglas besteht darin, dass dieser Vermerk nicht an Habeck weitergeleitet wurde. Damit das funktioniert, kürzt “Cicero” den Vermerk und lässt einen wichtigen Teil weg.
Das ist äußerst unredlich: hier wird unvollständig und aus dem Zusammenhang gerissen zitiert. Insbesondere wird hier ein Fass aufgemacht, weil auf einer der untersten Entscheidungsebenen ein kurzer Text geschrieben wurde, den - Skandal! - Habeck nicht zu lesen bekam. Dies zeigt entweder Vorsatz oder völlige Unkenntnis, wie ein Ministerium mit 2.400 Mitarbeitenden funktioniert. Beides ist enorm traurig, lässt es doch Rückschlüsse auf die journalistische Qualität des “Cicero” und des Glossisten der WZ zu. Natürlich erhält Habeck nicht jeden Aktenvermerk. Ein “Referent” ist ein rangniedriger Sachbearbeiter, über dem noch diverse Gruppen- und Abteilungsleiter den Informationsfluss filtern und steuern.
Schlussendlich formuliert der Aktenvermerk auch doch nur aus, was dann auch tatsächlich passiert ist: die KKW sind (wider besseres Wissen) noch drei Monate im “Streckbetrieb” künstlich am Leben erhalten worden. Der vom “Cicero” gekürzte Teil enthält das vollkommen unwichtige (Vorsicht Sarkasmus) Detail, dass alle KKW-Betreiber in Gesprächen schwerwiegende Einwände gegen den Weiterbetrieb hatten, sowohl in Hinblick auf die seit Jahren ausgesetzten Sicherheitsüberprüfungen, als auch in Hinblick auf die Restkapazität der Brennstäbe. Der “Streckbetrieb” erfolgte ja dann auch mit stark reduzierter Stromerzeugung. Habeck hat also entschieden, was der Aktenvermerk als “riskant” beschreibt, auch ohne ihn konkret zu kennen, zumal die Öffentlichkeit bereits wochenlang darüber diskutierte.
Schaut man genauer hin, sieht man seit längerem ein System, mit Dreck zu werfen, in der Hoffnung, dass irgend etwas hängen bleibt: zuerst der Versuch eines bis dahin auch eher unbekannten Onlinemagazins “Multipolar” (laut Wikipedia ein “verschwörungstheoretisches Alternativmedium”), aus RKI-Akten eine “Aufarbeitung” der Corona-Pandemie zu lancieren, und nun, wenige Tage später der nächste Versuch von rechts: der Verlag, in dem “Cicero” erscheint, gehört zur Hälfte dem CDU-Mitglied Dirk Notheis, der z.B. auch am milliardenschweren, überteuerten Rückkauf von EnBW-Aktien durch Baden-Württemberg eine dubiose Rolle gespielt haben soll, damals im Vorstand von Morgan Stanley.
Hieraus nun zu konstruieren, dass die “Öffentlich-Rechtlichen Medien” wichtige Nachrichten unterdrücken, ist weit hergeholt: die ÖR haben nach journalistischer Prüfung festgestellt, dass es so gut wie nichts dramatisches zu berichten gibt, und dementsprechend gab es “nur” Randnotizen statt meterhoher Schlagzeilen. Diese minimale Recherchearbeit zur Einordnung von Themen wäre den Glossisten der WZ ebenfalls zu wünschen.
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