29.04.2024

Der Bundesrechnungshof will Politik machen - Leserbrief

[veröffentlicht am 27.04.2024]

Hr. Z. behauptet, dass es kein Land gibt, das seinen Strombedarf aus Erneuerbaren decken kann.

Das ist schade, denn ein einziger Blick in die Wikipedia hätte diese Behauptung sofort widerlegt. Wikipedia nennt 6 Länder, die zu 100 % mit Strom aus Erneuerbaren Quellen versorgt werden, 18 Länder, die die Marke von 90 %, und 30 Länder, die die 80 % überschreiten. Im Schnitt hat Deutschland 2023 mehr als 60 % des Strombedarfs aus Erneuerbaren erzeugt, und das wird sich noch verbessern. Je nach Tageszeit und Saison gab es Spitzenwerte von bis zu 140 % Erzeugung aus Erneuerbaren, die dann gut an der Strombörse verkauft werden konnten.

Zum Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) bleibt anzumerken, dass dessen Präsident Scheller ein strammer CDU-Parteisoldat ist und schon seit Jahren scharf gegen die Energiewende schießt. Er war vorher 15 Jahre lang für die Unionsfraktion im Bundestag und bis 2014 Fraktionsdirektor der CDU. Seine Frau Marion Scheller ist seit 2016 Cheflobbyistin der Nordstream 2 AG für Gazprom. Ich denke, das erklärt sehr deutlich den Tonfall des aktuellen Berichts. Abgesehen davon soll der BRH ökonomische Prüfungen der vorhandenen Wirtschaftsführung machen und keine politischen Luftschlösser bauen.

Im Wesentlichen stellt der Bericht des BRH nur fest, dass die Ampelregierung in zwei Jahren aufholen musste, was die vorherigen Regierungen jahrzehntelang verschleppt haben. Insbesondere kritisiert der BRH, dass Stromtrassen fehlen - das ist hauptsächlich der Verdienst der CSU und Freien Wähler in Bayern, die den Bau von Nord-Süd-Stromleitungen behindert und verzögert haben. Es ist schon sehr sportlich zu verlangen, dass die Ampel in zwei Jahren solche massiven Versäumnisse beheben soll und z.B. in so kurzer Zeit die kritisierten fehlenden 6000 km Stromleitungen bauen könnte.

Es ist absolut utopisch anzunehmen, dass ein Regierungswechsel nächstes Jahr dazu führen würde, dass die Kritikpunkte des BRH aufgenommen werden. Anhand der derzeitigen Kakophonie aus der Opposition steht stattdessen zu befürchten, dass alle Maßnahmen der Energiewende wieder zurück gedreht werden sollen und wieder Einhornprojekte wie E-Fuels, Kernfusion und Wasserstoff überproportional gefördert werden würden.

Der Vorwurf der gefälschten Statistik wird zum Eigentor. Es sollte in diesem Fall lauten “Traue keinem Zitat, das Du nicht selbst aus dem Zusammenhang gerissen hast”.

Die Energiewende ist dringend notwendig und muss eigentlich sogar noch beschleunigt statt behindert werden. Wenn der BRH also wirklich glaubwürdig politisch hätte kritisieren wollen, hätte er tatsächlich eher die Blockadepolitik der FDP kritisieren müssen statt der - halbwegs brauchbaren - Ampelpolitik als Ganzes. Um genau zu sein: die Ressorts der grünen Minister werden ihre Sektorziele erreichen. Wenn die Energiewende weiterhin von der FDP nach Kräften verzögert wird, kommen ab 2030 hohe Kosten für den Erwerb von CO2-Zertifikaten auf Verbraucher zu, die dann noch fossil heizen (ob nun zuhause oder mit dem Auto).

Was uns noch viel Geld kosten könnte: Deutschland hat zwar auf Erpressung der FDP hin die Sektorziele im deutschen Klimaschutzgesetz abgeschafft, aber auf EU-Ebene gilt dieses Prinzip weiterhin. Wenn Deutschland also nicht bis 2030 die EU-weiten Sektorziele in allen Ressorts erreicht hat, drohen Strafzahlungen bis zu 60 Mrd. Euro. Außerdem wird es langfristig wesentlich teurer werden, wenn wir jetzt auf Klimaschutz verzichten, statt jetzt kurzfristig zu investieren. Der Finanzminister sollte lernen, dass Staatsschulden für Investitionen sinnvoll sind, statt weiter als schwäbische Hausfrau mit überholten Rezepten aus den 80er Jahren den Staat kaputt zu sparen und die Wirtschaft abzuwürgen. “Kein Klimaschutz” wird uns zukünftig sechsmal mehr kosten als jetzt in Klimaschutz zu investieren.

Nebenbei: pro Kopf hat Deutschland im internationalen Vergleich die höchste Quote an erneuerbarer Stromerzeugung, 1,4 kW (außer Bayern)! Im Vergleich sind es weltweit durchschnittlich nur 0,2 kW, in China 0,3 kW und in den USA 0,6 kW. Der Durchschnitt aller EU-Staaten liegt bei 0,7 kW.

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