13.08.2024

Die Wahlrechtsreform schlechtreden - Leserbrief

[veröffentlicht am 13.08.2024]

Hr. Sattler schreibt in seiner Glosse von einer Niederlage der Ampel vor dem Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Reformierung des Wahlgesetzes. Dabei ist wohl eher der Wunsch, der Ampel eins auszuwischen, der Vater des Gedankens, und nicht der Wunsch, eine reelle Darstellung zu geben.

Das Gericht hat die Reform des Wahlgesetzes im Großen und Ganzen für verfassungsgemäß befunden bis auf ein Detail, nämlich die 5 %-Klausel und die Direktmandate. Das hat die WZ auch einen Tag später redaktionell korrekt berichtet und immerhin dann die Pressemitteilung des BVerfG korrekt wiedergegeben.

Was ich trotzdem noch wesentlich schlimmer als Sattlers magere Argumentation finde, ist Söder, der hier in trumpesker Manier von “Wahlmanipulation” spricht und z.B. auf X/Twitter behauptet, die Ampel habe eine “Klatsche” erhalten. Dieses eine Reformgesetz nun als Beweis für eine Unterstellung zukünftiger krimineller Machenschaften zu verwenden, ist in sich höchst demokratiefeindlich und demagogisch.

Im Kern ist die Reform gelungen, denn der vorherige Versuch einer Reform, z.B. das sog. “negative Stimmengewicht” (mehr Stimmen führen zu weniger Sitzen) zu verhindern, hat zu immer mehr Ausgleichs- und Überhangmandaten geführt (aktuell 730 statt 598 Sitze im Parlament!). Die Reform legt das Parlament auf maximal 630 Abgeordnete fest, dabei haben im Vergleich zur jetzigen Sitzverteilung alle Parteien gleichmäßig verloren, und somit bleibt das Stimmenverhältnis erhalten. Nebenbei spart der Staat durch diese Reform Hunderte von Millionen Euro.

Natürlich schießt besonders die CSU scharf gegen die Reform, denn sie profitierte in der Vergangenheit am meisten von Ausgleichs- und Überhangmandaten, da die CSU in Bayern fast alle Landkreise direkt gewinnen und deshalb viele Erststimmenmandate in den Bundestag entsenden konnte (und zwar mehr als der CSU prozentual zustünden). Auch hier hat das Gericht eher der CSU als der Ampel eine Klatsche erteilt, denn im Urteil ist zu lesen, dass die Abgeordneten allen Wählern und nicht (nur) ihrem Landkreis verpflichtet sind (Art. 38 Grundgesetz). Von daher ist es dogmatisch nicht schlimm, dass ein Wahlkreis nicht mit einem Direktmandat im Parlament vertreten ist, sondern nur mit den Abgeordneten der Liste, also den prozentualen Zweitstimmen. Abgesehen davon könnten CDU und CSU eine Listenverbindung einführen, was sie genau wegen der bequemen Überhangmandate in der Vergangenheit tunlichst vermieden haben. Hauptsächlich die CSU hat über mehr als zehn Jahre hinweg jegliche Reform verhindert, die dieses Problem angehen wollte. Der alternative Reformvorschlag von CDU/CSU hätte nebenbei alle Parteien Sitze gekostet - außer natürlich der CDU/CSU.

Der Kritikpunkt von Hr. Sattler, dass durch die Reform möglicherweise ein Direktmandat (Erststimme) nicht zu einem Sitz im Parlament führt, ist vermutlich in Unkenntnis der Tatsache geäußert worden, dass exakt dieselbe Regelung in Bayern schon seit langem gilt. Wenn die Partei die 5 % im Wahlkreis nicht erreicht, hat auch der Direktkandidat keinen Sitz im Parlament erlangt. Sattler kritisiert hier also sehr einseitig etwas, was auf Landesebene schon längst geltendes Recht ist.

Trotzdem hat die Reform vorläufig Bestand, bis die Regierung hier (minimal) nachbessert. Eine Behelfslösung für die Parteien wäre, dass der Direktkandidat auch einen Listenplatz erhält (was sowieso meistens der Fall sein wird).

Zum Vergleich: den Regierungen mit CDU-Kanzlerschaft wurden knapp 240 Entscheidungen vom Bundesverfassungsgericht kassiert, Regierungen mit SPD-Kanzlerschaft ca. 130. Bezogen auf die Regierungszeit pro Jahr, nehmen sich hier beide Parteien nicht viel.

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