16.08.2024

Schwache Argumente für die Schuldenbremse - Leserbrief

[veröffentlicht am 16.08.2024]

Hr. Schier schreibt über die Schuldenbremse und begründet ihre Einhaltung mit dem Argument, wir dürften den kommenden Generationen keine “laufenden betrieblichen Kosten” hinterlassen. Das Gegenteil seiner Argumentation ist richtig: wir verschieben immer mehr notwendige Investitionen in die Zukunft und hinterlassen damit unseren Kindern einen Trümmerberg von maroder Infrastruktur. Je später wir investieren und reparieren, desto teurer wird es werden.

Allein das Beispiel “Bahn” zeigt, was passiert, wenn man nicht rechtzeitig eingreift: 2010 wurden notwendige Reparaturen und Investitionen auf 10 Mrd. Euro beziffert. Da dies nicht stattfand, ist der heutige Bedarf auf 88 Mrd. Euro angewachsen. Die Schweizer verweigern mittlerweile den notorisch verspäteten deutschen Zügen die Einfahrt, damit die Taktung der Schweizer Bahnen nicht gestört wird.

Kredite für Investitionen sind sinnvoll, denn mit dem Geld wird ein Gegenwert geschaffen, der im Normalfall dann zu einer gut funktionierenden Infrastruktur beiträgt. Es ist also gerade nicht geplant, die Kredite für den laufenden Betrieb zu verwenden, sondern bleibende Werte zu erschaffen oder zu bewahren. Die “schwäbische Hausfrau” Lindner ist hier volkswirtschaftlich vollkommen auf dem Holzweg. Zu Recht haben vor drei Jahren führende Ökonomen vor dem Laien Lindner als Finanzminister gewarnt. Eine staatliche Kreditaufnahme ist nicht mit einem Kredit für Privatleute vergleichbar. Insbesondere erhält der Staat für das Geld eine bessere Infrastruktur, die allen Bürgern zugute kommt, und durch mehr Geld im Umlauf steigt die Beschäftigung - es braucht ja Arbeitskräfte für die Maßnahmen. Die staatlichen Kredite werden durch eine mäßige Inflation langfristig auch harmloser.

Mittlerweile ist die FDP der einzige Streiter für die Erhaltung der Schuldenbremse: alle Wirtschaftsforschungsinstitute und Organisationen sprechen sich deutlich für eine Änderung aus. Eine sinnvolle volkswirtschaftliche Begründung kann Lindner nicht geben; die Schuldenquote Deutschlands im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist die drittniedrigste weltweit. Japan und USA haben wesentlich höhere Schuldenquoten und dort brummt die Wirtschaft durch eine kluge Investitionspolitik. Biden ist der US-Präsident mit dem höchsten Wirtschaftswachstum der letzten 100 Jahre, während im Gegensatz dazu die Steuersenkungspolitik von Trump in der Legislaturperiode davor zu einem Viertel (!) der jetzigen amerikanischen Staatsschulden beitrug.

Ich bin mir absolut sicher, dass im Fall eines Wahlsiegs der CDU nächstes Jahr als erstes die Schuldenbremse fallen würde - erste Anzeichen für ein Umdenken der jetzigen Opposition gibt es ja schon. Aber natürlich kann die Opposition jetzt nicht zustimmen, denn einen Erfolg der Koalition kann und will sie derzeit nicht unterstützen.

Abgesehen von der Aufnahme neuer Kredite könnte Lindner natürlich dem Vorschlag Brasiliens in der G20-Gruppe zustimmen, eine weltweite Milliardärssteuer einzuführen. USA und Deutschland sind die einzigen Blockierer. Es beträfe in etwa 2000 Personen und Familien, denen eine Steuer von 2 % sicherlich nicht wehtun würde.

Lindner könnte auch Steuergeschenke wie z.B. für Dienstwagen kürzen (97 % aller Porsche sind als Dienstwagen steuerlich gemeldet). Er könnte durch verstärkte Steuerprüfungen bei Firmen eine geschätzte Lücke von jährlichen 100 Mrd. Euro an fehlenden Steuereinnahmen schließen. Er könnte die derzeit ausgesetzte Vermögenssteuer in eine verfassungsgemäße Form bringen - geschätzt fehlen seit 1996 dem Staat dadurch 380 Mrd. Euro. Er könnte auch als Schadensersatz Gelder aus dem jahrelang laufenden Cum-Ex- und Cum-Cum-Steuerbetrug für die Staatskasse reklamieren und dabei die Banken in die Pflicht nehmen, durch deren Kassen eine geschätzte Summe von 55 Mrd. Euro geflossen ist. Stattdessen darf einer der angeklagten Banker sich freuen, dass wegen Gesundheitsproblemen sein Verfahren eingestellt wird - die 40 Mio. Euro aus den schattigen Geschäften darf er behalten.

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