12.01.2015

Der Jesus-Deal - Andreas Eschbach - Buchbesprechung

Andreas Eschbach hat eine Fortsetzung seines genialen Thrillers "Das Jesus-Video" geschrieben. Zu Weihnachten hab ich uns das Buch geschenkt (meine Frau mochte "Das Jesus-Video" auch sehr gern) und ich kann sagen: dies ist seit langem das beste und spannendste Buch von ihm. Bei einigen früheren Büchern habe ich mehrfach kritisiert, dass der Schluss abrupt und aufgesetzt wirkt und nicht zum bisherigen Spannungsverlauf passt, aber beim "Jesus-Deal" passt einfach alles zusammen. Die Spannung wächst langsam, mittendrin platzt eine Bombe (nicht wortwörtlich ...), es gibt einen plausiblen Abschluss und für einige offene Fragen sogar noch eine glaubwürdige Methode, diese Fragen aufzuklären.

Das einzige, was ich für mich persönlich kritisieren kann, ist die Darstellung von Jesus als Messias, der wirklich in der Lage ist, das zu leisten, was die Bibel über ihn berichtet. Mit dieser Beschreibung habe ich als Agnostiker natürlich ein Problem: die Zeitreise findet statt und ein Video bestätigt, dass Wunderheilungen möglich sind. Dies wäre für die Handlung absolut nicht nötig gewesen. Hier was der erste Teil, "Das Jesus-Video", mit wesentlich mehr Fingerspitzengefühl unterwegs: dort wird nicht so klar gesagt, dass Jesus wirklich zu allen kolportierten "Wundern" in der Lage war, sondern nur, dass er ein unglaublich charismatischer Mensch war, dem die Lebensfreude aus allen Knopflöchern sprühte.

Nebenbei hält sich Eschbach hier noch ein Hintertürchen für einen dritten Teil offen: das Video mit der Heilung eines der Zeitreisenden wurde von keinem aus der Gruppe gefilmt, und in einem Nebensatz findet sich "das muss ein anderer Zeitreisender gefilmt haben".

Ein paar Stichworte zur Handlung und ein paar Anmerkungen muss ich noch loswerden. Ich versuche mal, nicht allzuviele Spoiler einzubauen, denn hier gibt es wirklich einige Pointen, die man selbst "erlesen" sollte.

Beide Teile sind unabhängig voneinander zu lesen, im zweiten Teil gibt es viele Rückblicke und Querverweise, aber es macht mehr Spaß, wenn man die Bücher so liest, wie sie erschienen sind.

Der zweite Teil setzt zunächst zeitlich und handlungsmäßig dort ein, wo vermeintliche Agenten der katholischen Kirche das eine Original des Videos stehlen (es gibt zwei). In der Fortsetzung waren es allerdings (das "vermeintlich" ließ es schon vermuten ...) keine kirchlichen Räuber, sondern Söldner eines religiösen amerikanischen evangelikalen Fanatikers, der eine Zeitmaschine bauen will, nachdem er erfahren hat, dass Zeitreisen möglich sind.

Im Verlauf des "Deals" erfährt man, wie er zu seinem milliardenschweren Reichtum gelangt ist: er wird Zeuge einer unfreiwilligen Zeitreise, einer Art "Zeitloch", eine Frau stürzt von 1994 nach 1959 und hat zufällig, weil sie Autorin ist, ein Belegexemplar eines Magazins bei sich, und "rein zufällig" enthält dieses Magazin auch wirtschaftliche Informationen von 1959 bis 1994, z.B. Aktiendaten und weitere Hinweise auf Firmen etc. Diese Idee ist natürlich beim zweiten Teil von "Back to the future" abgeguckt, nur eben nicht mit Sportwetten, sondern mit realen Börsendaten (obwohl das ja auch eine Art von Wette ist - die Kurse der meisten Firmen haben wenig mit ihrem wirtschaftlichen Stand gemein).

Das Buch ist größtenteils aus der Sicht des jüngeren Sohns Michael dieses Milliardärs, Samuel Barron, geschrieben. Anfänglich ist er überzeugter Christ und dem Vater folgsam. Als die Zeitreise schief geht, landet er als "Schiffbrüchiger" im Jahr 1940 und beginnt zu lernen, dass sein Vater offensichtlich doch nicht ganz so berufen ist, wie er selbst von sich dachte. Der Vater ist skrupellos und radikal gläubig, er lebt genau nach der Bibel und nutzt seine finanzielle Macht, um seinen evangelikalen Glauben auch politisch zu verankern, indem er den Wahlkampf eines Glaubensbruders unterstützt, und schreckt sogar vor einem Anschlag auf den Präsidenten nicht zurück, um seinen Kandidaten an die Macht zu bringen.

Über das eigentliche Ziel der Zeitreise schreibe ich nichts, ich habe ja weiter oben versprochen, keine brutalen Spoiler aufzuschreiben ;)

Die erste Andeutung von Kritik gegen den Vater kommt auf, als eine Diskussion um die Rolle von Judas beginnt. Offentlich hatte Judas keine Chance auf seinen eigenen freien Willen: er musste den Verrat begehen, damit die Geschichte so stattfinden kann, wie die Bibel sie berichtet. Dies ist gleichzeitig auch der rote Faden, der sich als Konzept durch die gesamte Geschichte zieht: Zeitreisen können nichts verändern, alles passiert, weil es passiert ist.

Ein Konzept während der Vorbereitung der Zeitreise will mir auch nach einigem Nachdenken nicht ganz einleuchten: die zeitgereisten Videokassetten enthalten eine Spur Osmium, des Elements mit der höchsten Dichte aller natürlich vorkommenden Elemente (übrigens ist das auch eine Frage bei Quizduell ...). Eschbach liefert eine etwas verschrobene Erklärung, wie der Wissenschaftlicher Dermidow mit der Originalkassette umgeht (die oben erwähnte gestohlene). Statt die Kassette zu öffnen und das Osmium zu entnehmen, verstaut er sie in einem Safe und verlangt von Barron, mit dem Hersteller zu verhandeln, genau diese Variante der Kassette herzustellen.
Erst, als diese "US-Variante" tatsächlich im Handel zu kaufen ist, prüfen sie, ob die neu hergestellten Kassetten wirklich wie verlangt einen Streifen Osmium enthalten, und erst danach wird das zeitgereiste Osmium aus der Originalkassette entnommen.
Die Erklärung basiert auf Schrödingers Gedankenspiel mit der Katze und dem nicht vorhersagbaren Zerfall eines Teilchens in der verschlossenen Kiste. Wenn Dermidow die Videokassette "einfach so" geöffnet hätte, wäre möglicherweise doch kein Osmium enthalten gewesen, aber durch den Druck auf den Hersteller wurden exakt diese umdesignten Kassetten mit einer etwas anderen Bauform für die Videokamera mit einem Streifen Osmium hergestellt.

Wie schon gesagt: die Reise in die Vergangenheit geschieht, aber die Rückreise geht schief. Michael landet 1940 direkt vor dem ersten deutschen Bombenangriff auf England. Rein zufällig, aber natürlich wichtig für den Ablauf des Buchs, interessiert er sich für die Geschichte des 2. Weltkriegs und weiß, was mit genau diesem Städtchen genau am nächsten Tag passieren wird.

Über die Identität des Zeitreisenden aus dem Vorgängerbuch erfährt man nichts. Am Ende des ersten Teils taucht er vielleicht als namenloser junger Mann auf, aber warum er sich eine Videokamera für mehrere Tausend Dollar leisten kann, wie er zeitgereist ist und wie es zu seinem Tod kam, bleibt offen.

Übrigens war die oben erwähnte "unfreiwillige" Zeitreise doch nicht ganz so unfreiwillig. Die Logik des Buchs basiert im Wesentlichen darauf, dass alles passieren wird, weil es so passiert ist. Deswegen erzwingt Samuel Barron auch die spezielle Bauform der Videokassetten, weil eben diese Bauform aufgefunden wurde. Er erzwingt als Probelauf für die Maschine die Zeitreise der Frau von 1994 nach 1959 und nimmt dabei den Tod des schwer herzkranken Opfers in Kauf, damit sein früheres Ich das Magazin mit den Wirtschaftsdaten bekommen kann.
Überhaupt sind Zeitreisen erst möglich, wenn erstmals zeitgereistes Material gefunden wurde, und die Zeitreise basiert darauf, dass dieses Material als "Katalysator" eingesetzt werden muss. Je dichter das Material, desto weniger benötigt man, deshalb verwendet man logischerweise Osmium, das dichteste Metall überhaupt.
Sogar Jesus fordert seine Jünger auf, ihm einen Esel für die Einreise nach Jerusalem zu beschaffen, weil es so geweissagt sei. Also auch hier das Befolgen der Prophezeiung, damit sie eintritt. Es gibt noch mehrere dieser Zeitschleifen, die sich im Verlauf des Buchs öffnen und schließen, teilweise überspannen diese Schleifen sogar beide Bücher. Also aufmerksam lesen für den vollen Genuss!

Das schlussendliche Fazit, das ich aus dem Buch ziehe, ist ein ganz schlichtes:
Christliche Fanatiker sind genauso schlimm wie alle anderen, egal ob Moslems, Juden oder andere.

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