Zur Abwechslung mal ein ganz anderer Beitrag: eine Buchbesprechung über ein harmloses Buch aus der echten Welt ... kein Fantasy, kein Science Fiction, kein Artikel über LTE, DSL, Android, Linux oder Java ;)
Meine Frau hat das Buch vor mir gelesen und es mir wärmstens empfohlen ... manchmal kennt sie mich halt ;)
In diesem Buch geht es um eine Art von Liebesgeschichte, eigentlich sogar mehrere. Es kommt sogar Sex vor, aber nicht in Zusammenhang mit den Liebesgeschichten. Hört sich merkwürdig an, oder? ;)
Es geht um einen großen, starken, erwachsenen Mann, der aus Gründen bildungsmäßig ein bißchen zurückgeblieben ist. Er ist nicht zurückgeblieben in dem Sinn, wie man umgangssprachlich jemanden "zurückgeblieben" nennt. Er ist durchaus intelligent, nimmt an seiner Umwelt teil und versucht, über sich und sein Leben nachzudenken, aber eben durch unglückliche Umstände während der Kindheit und Adoleszenz ist er ungebildet und unbelesen geblieben, und es fehlt ihm der zündende Funke, selbständig zu lernen. Er macht sich aber durchaus tiefschürfende Gedanken über sich und seine Umwelt.
Am Teich seines Heimatortes trifft er eines Tages eine alte Dame, die derselben Beschäftigung nachgeht wie er: dem Zählen der Tauben. Über dieser eher trivialen Tätigkeit kommen sie ins Gespräch und freunden sich nach und nach an. Als ihr Gespräch einmal auf Bücher kommt, gibt er ohne falsche Scham zu, dass er nur schlecht lesen kann, und es ergibt sich, dass die alte Dame dem Mann vorliest und dadurch sein Interesse an Literatur und Bildung weckt. Er lernt dadurch Camus und andere berühmte Autoren kennen, er lernt, ein Wörterbuch zu verwenden, und er wagt sich sogar allein in die Stadtbücherei, weil er ein neues Buch ausleihen, lesen und dann seiner neuen alten Freundin vorlesen will, deren Augenlicht durch eine Makula-Degeneration absehbar nachlassen wird.
Durch diese Bekanntschaft verändert sich sein gesamtes Leben: seine bislang eher lockere und rein körperliche Liebschaft mit seiner Freundin wird intensiver, seine Kneipenbekanntschaften wundern sich über seine Belesenheit, er wäscht einem seiner Kumpels den Kopf und rettet dessen Ehe, als dieser eine Affäre beginnt, und am Schluss gibt es sogar ein Happy-End mit seiner Freundin, und die alte Dame Margueritte wird sozusagen in die Familie adoptiert, so dass er als Ausgleich für den Verlust der Mutter eine warmherzige Oma erhält.
"Das Labyrinth der Wörter" ist eine wunderschöne, geschmeidig dahinfließende Geschichte mit sehr kurzen Kapiteln (drei bis vier Seiten) und die Charaktere entwickeln eine unglaubliche Tiefe. Man kann das Buch wunderbar abends im Bett lesen, es nach einem oder zwei Kapiteln weglegen und dann noch etwas darüber nachdenken. Es hat eine poetische Sprache mit gelegentlichen, netten Wortspielen, die den Leser zum Schmunzeln bringen. Die Art von Wortspielen, etwa eine Redewendung oder ein Sprichwort wörtlich zu nehmen, erinnert an die Ernsthaftigkeit, mit der das "Sams" von Paul Maar ebenfalls manche gesprochenen Dinge zu wörtlich nimmt. Allerdings frage ich mich dabei, inwieweit dies dem französischen Original entspricht. Bei den Büchern von Terry Pratchett hat der frühere deutsche Übersetzer aus vielen höchst anspruchsvollen Wortspielen eher plumpe deutsche Witzchen gemacht oder ganz unter den Tisch fallen gelassen, was dazu geführt hat, dass ich Pratchett nur noch im Original lese. Leider reichen dazu meine Französisch-Kenntnisse nicht, aber es wäre mal einen Versuch wert ;)
Die Entwicklung vom "dummen", ungebildeten Dorfjungen zum an Literatur interessierten Menschen, der sich seiner Geliebten Annette öffnet und ihr von seinem bisherigen traurigen Leben erzählt, erinnert im Verlauf an die ebenso wunderschöne wie manchmal ebenso traurige Geschichte "Blumen für Algernon" von Danny Keyes, die als "Charly" vor nunmehr 35 Jahren mäßig gut verfilmt wurde. Allerdings ist Germain nicht wirklich dumm, so wie Charly. Er lernt vielmehr aus eigenem Antrieb neue Dinge hinzu, wohingegen Charlie Gordons Intelligenz operativ erhöht wird, und zum Schluss jener Geschichte verliert er sie wieder auf dramatische Weise.
Obwohl Germains Mutter dement wird und dann stirbt, ist dies kein trauriges Buch. Der Tod gehört zum Leben dieser Menschen dazu. Das einzig Traurige ist, dass seine Mutter ihm niemals ihre Liebe zeigen konnte, weil der Verlust seines Erzeugers sie zu sehr verbittert hat. Am Ende erfährt Germain wenigstens aus ihrer Hinterlassenschaft vermittels von ein paar alten Bildern, wie sein Vater ausgesehen hat.
Obwohl ich normalerweise skeptisch bin, was "Bestsellerlisten" angeht, finde ich dieses Buch wirklich empfehlenswert, auch wenn es auf einer solchen Liste im "Spiegel" auftaucht. Im Gegensatz dazu bekamen wir vor einiger Zeit ein wirklich schreckliches Buch geschenkt, das ebenfalls im "Spiegel" auf den vorderen Plätzen aufgetaucht ist, und das ich so grausam fand, dass ich es niemandem zum Lesen geben würde.
Was ich mir auf jeden Fall nicht antun werde, ist der Film zum Buch mit Gérard Dépardieu. Ich mag den Schauspieler eigentlich schon, aber nach der Zusammenfassung des Films bei Wikipedia will ich gar nicht genauer wissen, was noch geändert wurde im Vergleich zum Buch. Am Ende des Films entführt er Margueritte sogar aus ihrem Altersheim. Das klingt zwar heldenhaft und passt unzweifelhaft zu Germains Charakter, aber ich mag solche Differenzen zwischen Büchern und Filmen gar nicht.
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