19.08.2023

Wer hat denn nun Kompetenz? - Leserbrief

[veröffentlicht am 19.08.2023]

Hr. Seligmann schafft es erneut, mich mit der Faktenfreiheit in seiner Kolumne zu verblüffen. In der Kolumne vom 12.08. zählt er mehrere Punkte auf, die er der amtierenden Regierung anlastet.

Ich kann ihm nur in seinem zweiten Punkt zustimmen:

Die Digitalisierung in Deutschland könnte wirklich besser voranschreiten. Bezeichnend dafür ist mal wieder die Opposition in der Ampel. Lindner hat angekündigt, die Mittel für die Digitalisierung um 99 % von 399 Mio. Euro auf 3 Mio. Euro zu kürzen.

Für alle anderen Punkte aus seiner Aufzählung hier einige Fakten:

Der deutschen Wirtschaft geht es nicht schlecht. Das ist natürlich branchenabhängig, und was speziell die Autoindustrie gerade plagt, ist hausgemacht - die Entscheidungsschwäche in Politik und Wirtschaft, die die Opposition gern “Technologieoffenheit” nennt, führt dazu, dass uns China bei E-Autos rechts und links überholt. Tesla hat ebenfalls gerade deutlich die Preise gesenkt. Wer sich jetzt noch ein Verbrennerauto anschafft, hat in wenigen Jahren einen sehr schmerzhaften Wertverlust zu erwarten.

Ein guter Indikator für die Wirtschaftsleistung ist die Arbeitslosenquote, und da steht Deutschland in der EU ziemlich gut da. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im ersten Halbjahr um gerade mal 0,3 % gesunken (Stichworte Corona und Ukraine), erholt sich aber schon wieder. Deutschland ist nach wie vor an vierter Stelle der wirtschaftsstärksten Länder weltweit. Gerade wird ein Wirtschaftswachstum von 6 % gemeldet.

Der Strompreis sinkt und ist derzeit an der Börse fast auf dem Vorkriegsniveau angekommen. Die Abschaltung der Atomkraftwerke war sinnvoll. Atomstrom ist die teuerste Variante der Erzeugung und hat durch das “merit order”-Prinzip den Börsenpreis lange Zeit künstlich hochgehalten. Jetzt gibt es deutlich mehr EE-Strom in europäischen Verbundnetz, und die Strompreise fallen. Nebenbei sind derzeit auch 29 deutsche teure Kohlekraftwerksblöcke abgeschaltet, weil es auf dem Markt genügend EE-Strom gibt.

Die Steuerpolitik in Deutschland belastet abhängige Beschäftigung und bevorzugt große Firmen extrem. Wenn es Steuerreformen geben soll, sollten kleine Einkommen entlastet und die Steuertricks der großen Firmen verhindert werden. Subventionen wie das Dienstwagenprivileg oder Tricks wie “double dutch irish” - die buchhalterische Verlagerung von Gewinn in Niedrigsteuerländer (auch in der EU!) kosten den Fiskus Milliarden. Hier ist dringend EU-weit eine konsolidierte Steuerreform nötig.

Außerdem wäre es sinnvoll, Steuerprüfungen dort anzusetzen, wo es sich “lohnt”, nämlich bei großen Firmen. Es gibt ein auffälliges Missverhältnis: 25 % aller “kleinen Fische” haben im Schnitt irgendwann eine Steuerprüfung, während es bei großen Firmen nur 4 % sind, obwohl hier mehr “Ertrag” zu erwarten ist (Steuerfahnder-Affäre!).

Große Firmen sind über trickreiche Firmengeflechte in Irland ansässig und zahlen dort minimale Steuern, weil z.B. die “Vermietung” von Software (auch an Tochterfirmen) nahezu steuerfrei ist.

Zum Punkt “Zuwanderung”: ab jetzt gehen jedes Jahr eine Mio. Menschen in den Ruhestand, es gibt aber nur jugendlichen Nachwuchs von knapp 400.000 Menschen pro Jahr. Wenn wir Zuwanderung insbesondere von Fachkräften wollen, muss Deutschland weniger fremdenfeindlich werden. Der Ruf von Deutschlands Arbeitsmarkt im Ausland ist ruiniert durch die offen fremdenfeindliche, rassistische und faschistische AfD, insbesondere im Osten Deutschlands. Zur Erinnerung: die CDU hat in jeder Koalition seit 1980 eine regulierte Zuwanderung in der Gesetzgebung verhindert. Mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge, die seit 2015 aufgenommen wurden, sind gut integriert, haben die Sprache erlernt und sind in Beschäftigung.

Habeck hat es geschafft, die großen Chipfirmen TSMC und Intel nach Deutschland zu holen, die hier Werke für Chips von 28 bis 60 nm Strukturgröße gründen wollen (Brot- und Butter-Chips für die Industrie). Das ergibt auch Chancen für Zulieferer. Wenn wir die nach 2012 zerstörte Solarindustrie (wer war’s?) wieder aufbauen können, ist Deutschland gut aufgestellt. Zum Vergleich: die USA loben gerade 390 Mrd. Dollar Subventionen für Zukunftstechnologien aus und locken auch deutsche Firmen an.

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