21.07.2023

Tatsachen sind keine Meinung - Leserbrief

Ein paar allgemeine Gedanken, wie es dazu kommt, dass Menschen wissenschaftlich erwiesene Tatsachen ablehnen und versuchen, dagegen zu argumentieren, obwohl sie dazu fachlich nicht kompetent sind.

[veröffentlicht am 29.07.2023]

Ich möchte eigentlich nicht mehr weiter konkret auf die fragwürdigen Behauptungen der Klimawandelleugner F., K., P. usw. eingehen, die schon oft genug widerlegt worden sind.

Stattdessen möchte ich überlegen, was hier immer wieder passiert:

Ein Klimawandelleugner behauptet mit verschiedenen, verschrobenen, lange widerlegten Argumenten aus der Feder von Thinktanks oder von der Youtube-Universität, dass der Klimawandel (mittlerweile muss man schon “Klimakatastrophe” verwenden) entweder nicht existiere, “nicht bewiesen” sei, “nicht so schlimm” sei, oder dass man “sich daran gewöhnen” könne. Dies wird untermauert mit gezielt ausgewählten Datenpunkten ohne Kontext, die vermeintlich diese Position stützen.

Darauf folgen ein oder mehrere Leserbriefe mit Belegen, dass alle diese Behauptungen falsch und wissenschaftlich hanebüchener Unsinn sind, und es entbrennt eine wilde Debatte mit Unterstützern des Ersteren.

Ohne jetzt inhaltlich darauf einzugehen: es ist einfach traurig zu sehen, dass sich Leserbriefschreiber, die keinerlei (oder wenig oder andere) wissenschaftliche Kompetenz auf dem Gebiet der Klimaforschung haben, sich trotzdem anmaßen, den herrschenden wissenschaftlichen Standpunkt zu bestreiten und dabei die Verzögerungs- und Ablenkungsstrategie von Thinktanks (also Lobbyorganisationen) wie EIKE, Nuklearia, Prometheus u.a. übernehmen, ohne zu bemerken, wie sie dabei an der Nase herum geführt werden.

Diese Realitätsverweigerung nennt die Psychologie “kognitive Dissonanz”. Damit wird beschrieben, dass die Wahrnehmung der realen Tatsachen verweigert wird und das Opfer immer verzweifelter nach Erklärungen sucht, um nicht das eigene Weltbild umkrempeln zu müssen. Einher geht diese Verzweiflung mit dem "Confirmation Bias" (Bestätigungsvorurteil), also einer vorurteilsbehafteten überproportionalen Gewichtung der zur eigenen Überzeugung passenden Meldungen in den Nachrichtenmeldungen und dem Kleinreden gegenläufiger Meldungen.

Es wird nach Erklärungen gesucht, um nicht die eigene Wohlfühlblase verlassen zu müssen, egal wie abstrus diese auch werden - und das werden sie, ich erinnere nur an die Versuche, mit Bierflaschen, Blutalkoholpegel, oder der Gasgleichung zu erklären, dass eine weltweite Forschergemeinde von mehr als 13.000 renommierten Klimaforschern falsch liegt.

Nicht einmal die derzeit täglich lesbaren Horrormeldungen über Hitzerekorde, Dürre, Fluten und andere Wetterextremereignisse führen dazu, die Klimakatastrophe als Auslöser für diese Phänomene zu akzeptieren.

Wie arrogant und von sich selbst überzeugt oder andererseits, wie naiv muss man sein, um wissenschaftliche Tatsachen als “Meinung” zu diffamieren und abzutun? Dieselben Menschen nutzen begeistert wissenschaftliche Errungenschaften wie Smartphones, ein Navi im Auto, freuen sich über Fortschritte wie Airbags, ICEs, Internet, den (leider zu billigen) Flug nach Malle, aber wenn alle Wissenschaftler erklären, dass das Ausgraben und Verbrennen von uralten Wäldern doof ist, dann wiegt die “eigene Meinung” schwerer? Windräder darf man nicht aufstellen, weil die freie Sicht oder der Denkmalschutz gestört wird? Photovoltaik als Überdachung darf man nur aufstellen, wenn die Statik eine Schneelast von sechs Metern Höhe aushält?

Umgekehrt kann es natürlich genausogut sein, dass hier keine Inkompetenz vorliegt, sondern Absicht, um kurzfristig weiterhin viel Geld zu verdienen. Auch das wäre eine Erklärung dafür, warum Verzögerung (“irgendwann haben wir Kernfusion und e-Fuels”) oder Verweigerung (“Wärmepumpen funktionieren nicht in Deutschland”) so urplötzlich in der öffentlichen Diskussion auftauchen. Verwunderlich nur, dass dies in der kleinen, unauffälligen Wetterau passiert.

Wir brauchen mehr Umdenken und weniger Bürokratie, insbesondere die 10H-Abstandsregelung für Windkraftanlagen in Bayern muss fallen (Mindestabstand zur Bebauung ist zehnmal die Höhe der Anlage). Derzeit kauft Norddeutschland billigen EE-Strom in Norwegen und Dänemark (Frankreich als Lieferant derzeit mit deutlichem Abstand dazu erst an dritter oder vierter Stelle) und leitet ihn nach Polen weiter, von dort kauft ihn Bayern wiederum, weil eine Nord-Süd-Stromtrasse fehlt, die von Bayern seit Jahren verhindert wird.

Neuestes Bonbon, das für die "Verzögerungstaktik" spricht: Im sächsischen Vogtland ruft CDU-Landrat Thomas Hennig auf einer Veranstaltung des windkraft-kritischen Vereins „Lebenswertes Vogtland“ die Behörden dazu auf, Genehmigungsverfahren „so lange hinzuziehen, solange es rechtlich möglich ist“.

12.07.2023

Wie kann sich der Staat Bildung leisten - Leserbrief

Eine Glossistin der WZ denkt über die Finanzierung von Bildung nach.
[veröffentlicht am 12.07.2023]

Ein paar Gedanken zur geplanten Kürzung des Elterngelds.

Hier gibt es zwei Seiten zu betrachten: die Kürzung betrifft Menschen mit über 150.000 € zu versteuerndem Einkommen - Bruttoeinkommen minus alle absetzbaren Abzüge. Wir sprechen also über Familien mit etwa 200.000 € Jahresverdienst. Dies sind die oberen 4 % Verdiener, also ca. 60.000 Familien.

Auf der anderen Seite wird hier leider ein Signal gegeben, dass der besserverdienende Partner (ebenso leider: vermutlich der Mann) keine Elternzeit nehmen muss, sondern weiter arbeiten gehen “darf”. Dies zementiert erneut die traditionelle Rolle, dass die Mutter nach der Geburt eines Kindes zuhause am Herd bleiben soll - ein fatales Signal.

Die Kürzung an sich ist realistisch betrachtet nicht verkehrt, aber ohne eine Gegenmaßnahme zur obigen Überlegung ist es eine deutliche Verschlechterung auf dem Weg zur Gleichstellung der Partner in einer Familie.

Die Regelung zur Elternzeit sollte parallel zur Kürzung verbessert werden, so dass auch Väter länger zu Hause bleiben können (und sollen).

Leider gerät durch die unnötig schrille Debatte in den Hintergrund, dass die Kindergrundsicherung und das Bafög ebenfalls massiv gekürzt wurden. Aus der Debatte über Hilfe für Kinder wurde also eine Debatte über die - vielleicht - gefährdete Gleichstellung von Partnern gemacht. Studieren ohne Bafög können nur noch Kinder wohlhabender Eltern.

Zur Finanzierung von Elterngeld und Kindergrundsicherung gibt es einige sehr einfache Möglichkeiten:

Noch immer ist der Flugverkehr komplett von der Mineralölsteuer befreit. Wir subventionieren also unmittelbar klimaschädliche Flüge durch billiges Kerosin. Es ist immer noch günstiger, zu fliegen als mit der Bahn zu fahren. VW z.B. besitzt eine Fluggesellschaft, die extrem steuerbegünstigt fast 2.500 “dienstliche” Flüge pro Jahr durchführt, etwa zwischen Wolfsburg und Stuttgart.

Genauso umweltschädlich ist die Subventionierung von Firmenwagen. Da der Arbeitgeber üblicherweise alle Kosten zahlt, gibt es hier keine Anreize, energiesparend zu fahren oder auf private Fahrten zu verzichten. Stattdessen wird ein Dienstwagen als Statussymbol betrachtet - je größer, desto toller. Deutschland ist das einzige Land, in dem es beim Preis keine Obergrenze für steuerliche Absetzbarkeit gibt.

Die Steuergeschenke für Dienstwagen summieren sich je nach Berechnung auf über 10 Milliarden Euro pro Jahr. Sogar die linksgrüne “auto motor sport” schlug kürzlich vor, das Dienstwagenprivileg für Wagen mit Verbrennungsmotor abzuschaffen und schätzt die zusätzlichen Steuereinnahmen bis 2030 auf 42 Milliarden Euro. Als Nebeneffekt schätzt das Magazin eine Million mehr E-Autos als Dienstwagen und somit eine Entlastung um mehrere Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Der Finanzminister träumt im Gegensatz dazu von Milliardensubventionen für e-Fuels, weil deren Herstellung sonst zu teuer wäre.

Die Mineralölunternehmen jubeln: Shell (37 Mrd. €), Chevron (33 Mrd. €), BP (26 Mrd. €), Exxon (52 Mrd. €), Total (33 Mrd. €) und Aramco (161 Mrd. $) melden Rekordgewinne von 50 bis 150 % gegenüber dem Vorjahr. Ein Teil dieser Gewinne war sicherlich dem letztjährigen “Tankrabatt” zuzurechnen. Andere Länder holen sich davon einen Anteil als Übergewinnsteuer zurück, Deutschland nicht.

Der Verkehrsminister könnte 30 Mrd. Euro und nebenbei viel CO2 sparen, wenn er auf den Neu- oder Ausbau von 1300 km neuen Straßen und Autobahnen verzichtet. Mehr Straßen führen unweigerlich zu mehr Verkehr und mehr CO2, sagen Studien.

Auch Steuervermeidung und Steuerhinterziehung (geschätzt 150 Mrd. € pro Jahr) sollten stärker bekämpft werden. Stattdessen werden Steuerfahnder gemobbt und in den Ruhestand versetzt (die Steuerfahnder-Affäre in Hessen) oder die Schäden der Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte von fast 50 Mrd. € ignoriert.

Es wäre sinnvoll, wenn wir Steuern da erheben, wo es sich für den Staat lohnt, wie z.B. bei Erbschaften, Kapitalertrags- und Vermögenssteuer, beim Abbau von Subventionen oder einer zeitweiligen Übergewinnsteuer.

Deutschland ist das Land, in dem Lohnarbeit unverhältnismäßig stark besteuert wird, aber Firmen sich künstlich arm rechnen können.

03.07.2023

Märchen über importierten Strom aus Frankreich - Leserbrief

Ein regelmäßiger Glossist schreibt in einem Nebensatz, dass wir "Atomstrom aus Frankreich importieren müssen", weil wir unsere deutschen KKW abgeschaltet hätten. Das ist eine genauso schlichte wie falsche Erklärung, warum wir Strom importieren, und das schrieb ich als Entgegnung.

[veröffentlicht am 01.07.2023]

Warum darf Hr. Seligmann unwidersprochen das FDP-Märchen wiederholen, dass wir den Atom- und Kohlestrom aus Frankreich kaufen, weil wir unsere Kernkraftwerke abgeschaltet haben?

Bevor solche Behauptungen sich weiter verbreiten, sollte sich Hr. Seligmann darüber informieren, wie das europäische Stromverbundnetz funktioniert, bevor er kausale Zusammenhänge erfindet, die nicht aus dieser Realität stammen. Es stimmt eben gerade nicht, dass wir Strom aus Frankreich kaufen, weil wir die deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet haben!

Die deutschen Kernkraftwerke hatten zuletzt weniger als 4 % Anteil am deutschen Strommix und haben im Gegenteil dafür gesorgt, dass der Strompreis an der Börse sehr hoch war (“merit order”, der teuerste Anbieter bestimmt den Preis für alle Stromarten). Nach dem Abschalten ist der Strompreis kontinuierlich gesunken, und da wir ausreichend Wind und Solar als Ersatz haben, die eben nicht abgeschaltet werden mussten, konnten wir sogar die Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken im Vergleich zum Vorjahr auf die Hälfte reduzieren. Das größte deutsche Kohlekraftwerk Datteln 4 ist z.B. seit mehr als zwei Monaten abgeschaltet, weil es schlicht zu teuer ist.

Der Atomstrom aus Frankreich ist nur deshalb so billig, weil Frankreich den Energieversorger EDF nach der Insolvenz für über 18 Mrd. Euro verstaatlichen musste und der Strompreis in Frankreich staatlich gedeckelt ist, also massiv aus Steuergeldern subventioniert wird. Der Atomstrom aus Frankreich ist also gar nicht billig, sondern das französische Steuersäckel wird dafür ausgeblutet.

Die Idee beim europäischen Verbundnetz ist doch gerade, dass der billigste Strom innerhalb ganz Europas ge- und verkauft wird. Im Moment ist das zufällig und auch nur für einen kurzen Zeitraum Atomstrom aus Frankreich. Es ist aber erwartbar, dass Frankreich mit dem geringsten Anteil an Erneuerbaren Energien (unter 25 %) bei der kommenden, jetzt schon absehbaren Wasserknappheit wieder viele Kernkraftwerke wegen Kühlwassermangel abschalten muss, und dann sehr viel Strom importieren muss. Es stimmt auch nicht besonders beruhigend, dass Macron baufällige Kernkraftwerke trotz Sicherheitsvorfällen per Dekret weiter am Laufen hält, obwohl dort Risse von mehreren Zentimetern Länge im Beton des Sicherheitsbehälters klaffen.

Über das ganze letzte Jahr gesehen war Deutschland netto ein Exporteur von Strom, auch weil Bundesländer wie NRW nahezu 100 neue Windkraftanlagen bauen. Mit dem Export hat Deutschland mehrere Mrd. Euro verdient, und für den Import umgekehrt weniger als 1 Mrd. Euro ausgegeben. Jetzt fällt uns aber sehr schmerzlich auf die Füße, dass die CSU im Bund zuviel Einfluss hat und die Nord-Süd-Stromtrasse verhindert hat, und absurde Regelungen wie 10H aufgestellt hat, um keine Windkraftanlagen zu bauen. Nun will Söder auch noch verhindern, dass es mehrere Strompreiszonen in Deutschland geben soll, weil er genau weiß, dass dadurch der Strom in Bayern teurer werden würde.

Es ist sinnlos, für die eigene kurzsichtige Propaganda Momentaufnahmen der Stromerzeugung zu verwenden. Eine aussagekräftige Bewertung ist nur über einen längeren Zeitraum sinnvoll, und da steht Deutschland erstaunlich gut da (tja, bis auf Bayern). Gerade im Winter ist die Windkraft sehr stark gewesen. Gleichzeitig ist es auf lange Sicht wichtig, die Stromerzeugung zu diversifizieren, mit einem möglichst hohen Anteil an Erneuerbaren, wie Wind, Solar, Wasser, Biomasse, und für die Lücken dann kurzfristig z.B. Gaskraftwerke hochzufahren, die man dann ebenso schnell wieder abschalten kann.

Es wäre wünschenswert, wenn Kolumnisten sich erst zu Themen äußern, wenn sie vorher mit einem Fachmann zusammen recherchiert haben, um die Fakten richtig darzustellen.

Es gibt keinen einzigen Grund, den deutschen Kernkraftwerken nachzutrauern.