23.08.2020

Die Wissenschaft forscht noch, aber in Leserbriefen ist schon heile Welt - Leserbrief

 Herr L. antwortet mir auf meinen letzten Leserbrief und wirft mir vor, dass ich "nichts verstanden" hätte. Die "Süddeutsche" habe ja nicht immer recht, aber "Tichys Einblick" könne durchaus recht haben. Nun denn ...


Leserbrief zum Leserbrief von Hr. L.

Ich finde es sehr unterhaltsam zu lesen, wie Hr. L. eine Kehrtwende vollführt, ohne dass es der Leser merken soll, und dabei versucht, möglichst ausschweifend und verschwurbelt darzulegen, dass er doch die ganze Zeit Recht hatte.
Nebenbei finde ich es bezeichnend, wenn jemand, der gern die rechtsextreme Website "Tichys Einblick" oder das von amerikanischen Klimakrisenleugnern finanzierte EIKE e.V.-"Institut" zitiert, sich über den Faktencheck der "Süddeutschen" lustig macht (https://bit.ly/2XdKtl4).

Zur Klarstellung nochmals: zuerst hat Hr. L. behauptet, dass die Schweden die Corona-Krise wesentlich besser im Griff hatten als Deutschland. Das habe ich widerlegt und mit Zahlen untermauert, dass in Schweden mehr als viermal soviele Tote zu beklagen sind.

Daraufhin schwenkt Hr. L. um und erklärt lang und breit, warum und wo diese Todesfälle zu beklagen sind - als ob er's schon immer gewusst hätte, was in Schweden schlechter lief. In Deutschland gab es Besuchsverbote in Einrichtungen mit besonders gefährdeten Risikogruppen, z.B. Krankenhäuser, Pflege- und Seniorenheime. Das haben die Schweden vergeigt, obwohl recht früh bekannt war, wer zu einer Risikogruppe gehört - z.B. Senioren, Bluthochdruckpatienten, Diabetespatienten und Lungenvorgeschädigte.

Dann kehrt Hr. L. , um die Leser weiter zu verwirren, zu seinem üblichen Lebensprinzip zurück: dem Prinzip Hoffnung - die Herdenimmunität sei bald erreicht. Ich wiederhole nochmals: es ist derzeit wissenschaftlich vollkommen ungeklärt, ob es eine Herdenimmunität gegen CoVid-19 geben wird. Die Anzeichen machen uns im Moment nicht wirklich Hoffnung darauf. Es gibt Meldungen, dass sich - wie bei anderen Infektionskrankheiten auch - Gesundete erneut angesteckt hätten (wir haben doch alle jedes Jahr erneut Schnupfen).

Insgesamt ist die Sterblichkeit bei einer Corona-Erkrankung 5-10 mal höher als bei der Grippe - allein diese Größenordnung sollte uns zeigen, dass weiter Vorsicht das Gebot der Stunde ist und nicht Lockerung "auf Teufel komm 'raus". Abgesehen davon ist der in Europa vorherrschende Virustyp "G" eine noch stärker infektiöse Mutation des ursprünglichen Virus, unter dem China zu leiden hat.

Außerdem ist überhaupt unklar, ob es eine dauerhafte Immunität geben wird, oder nur eine saisonale Immunität, wie sie z.B. bei der Grippeimpfung angestrebt wird. Die Grippeimpfung hat übrigens nur eine Erfolgsquote von 50-70%, d.h. ein hoher Prozentsatz geimpfter Personen könnte bei Infektion trotzdem erkranken. Es sieht danach aus, als ob wir noch lange mit dem Virus werden leben müssen.

Es wäre also besser, hier nicht vorschnell Behauptungen in die Welt zu setzen und darauf zu setzen, dass die Realität sich nach diesem Wunschkonzert richtet. Die derzeit wieder stärker ansteigenden Fallzahlen sind eine äußerst beunruhigende Entwicklung, die durch solche unbedachten Behauptungen in Leserbriefen eine falsche Sicherheit hervorrufen könnten.