25.03.2020

Fridays for Future als Erntehelfer in der Coronakrise?

Ich werde das Bild hier jetzt absichtlich nicht teilen, aber hier wird gerade massiv ein Vorschlag in sozialen Netzwerken verteilt, dass die Fridays-4-Future-Schüler doch bitteschön bei den Landwirten und der Ernte helfen könnten, wenn sie doch sowieso "schulfrei" hätten. Der Tonfall in diesem verteilten Meme ist aggressiv gehalten, und setzt ein bestimmtes "Framing", um Stimmung gegen F4F zu machen.

Dazu ein paar Fakten und Gedanken von mir als Elternbeirat.
Update: auch der Volksverpetzer findet die Idee absurd.

Bis zu den Osterferien ist zwar keine Anwesenheitspflicht in der Schule, aber trotzdem ist nicht unterrichtsfrei. Die Schulen versuchen gerade, im Rahmen ihrer Möglichkeiten "Homeoffice" für die Schüler zu ermöglichen. Das klappt - je nach Ausstattung der Schulen und Lehrer - unterschiedlich gut, aber: es wird gemacht. Ob das nun Arbeitsblätter, Videokonferenzen, gemeinsame Dokumente in Kollaborationssoftware oder andere Werkzeuge wie Slack, Discord, Webex, Zoom, Skype usw. sind, ist dabei nebensächlich. Hauptsache, es passiert!

Die F4F demonstrieren freitags knapp 2 Stunden, meistens nicht mal jeden Freitag, und die Landwirte brauchen Erntehelfer, die regulär Vollzeit arbeiten - also 40 Stunden pro Woche oder sogar mehr.

Wenn jetzt ausländische Arbeitskräfte fehlen, heißt das für mich, dass die Landwirte im Inland wegen der schlechten Bezahlung keine Arbeitskräfte finden. Das ist hier ein Marktproblem, aber das lässt sich nicht dadurch lösen, dass jetzt Schüler "dienstverpflichtet" werden (das verbietet Art. 12(2) GG) oder ihnen Schuld eingeredet wird. Es liegt an der Marktmacht der großen Einkäufer, die die Preise drücken. Ich hätte sogar die Befürchtung, dass durch den großflächigen Einsatz von billigen Ferienjobbern die Teufelsspirale von Preisdruck und Lohndumping weiter verstärkt wird.

Dieses Meme unterstellt künstlich, dass die F4F lieber demonstrieren als arbeiten gehen - obwohl die meisten von ihnen gar nicht in der Lage wären, körperlich oder organisatorisch Vollzeit Spargel zu stechen o.ä.

Da die Schüler nun tatsächlich nicht Erntehelfer werden (können), stehen sie automatisch schlecht da, wenn man das Meme gelesen hat.

Bevor ich diesen Blogbeitrag schrieb, hatte ich schon ein paar private Gespräche dazu. Ein beachtenswerter Gedanke, der hier eine positive Absicht unterstellt, ist die Idee, dass die Schüler sich freiwillig für einen Ferienjob bewerben, um die Landwirte zu unterstützen, denen Arbeitskräfte wegbrechen. Die Arbeitskräfte fallen nach den Ferien dann wieder weg - also ist das auch keine langfristige Lösung. Das mag durchaus bedenkenswert sein, ist aber eher eine vereinzelte, individuelle Möglichkeit. Prinzipiell ist ein Ferienjob eine gute Idee - ich habe auch ab dem Alter von 15 Jahren nahezu in allen Schul- und Semesterferien gearbeitet. Die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen dürften aber die meisten Ferienjobs in nächster Zeit unmöglich machen.

Randgedanke hierzu: die Schüler müssten ja nicht mal von den Eltern gefahren werden, denn sie haben ja das Hessenticket. Dieses Argument greift aber zu kurz, denn nur Schüler ab einer bestimmten Entfernung bekommen das Ticket bezahlt (Grundschulen 2 km, weiterführende Schulen 3 km lt. Hessischem Schulgesetz §161).

Im Fazit finde ich diesen Text abgrundtief schäbig. Er soll nur dazu dienen, die F4F-Bewegung zu diskreditieren. Nebenbei wird dadurch auch im Vorbeigehen das Grundgesetz beschädigt, wenn die Erntearbeit als wichtiger dargestellt wird als das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

20.03.2020

Siemens und die Kohlemine in Australien 2 - Leserbrief

Es war klar, dass mein Leserbrief keine Begeisterungsstürme hervorrufen würde, weil ich schrieb, dass Siemens einen schon geschlossenen Vertrag brechen und lieber eine Vertragsstrafe bezahlen solle, als Zulieferer für die Infrastruktur zum Kohleabbau in Australien zu werden. Der Kohleabbau durch den indischen Konzern Adani würde nebenbei den CO2-Ausstoß von Australien verdoppeln und durch den Transport der Kohle per Schiff auch das Great Barrier Reef bedrohen. Es gäbe also wirklich gute Gründe, diese Kohlemine zu stoppen.
[veröffentlicht: 20.03.2020]

Leserbrief zum Leserbrief von Hr. J., 05.02.2020
Tja, Herr J., die Realität hat Siemens und Adani eingeholt. Kürzlich hat Adani vor einem australischen Gericht zugegeben, dass beim Genehmigungsprozess gegen Strafrecht und Umweltrecht verstoßen wurde, und sogar in Indien selbst wurde eine Bürgerbefragung annuliert, die zu Gunsten von Adani gefälscht wurde. Ich würde es mir für Siemens wünschen, dass diese neuen Tatsachen eine Möglichkeit bieten, wirklich aus diesem Vertrag auszusteigen und damit Gesicht zu wahren.
Abgesehen davon: Sie haben natürlich recht, dass es ein ehernes Prinzip im geschäftlichen Umgang ist, Verträge einzuhalten. Andererseits gibt es seltene Ausnahmefälle, in denen es besser sein kann, tatsächlich von einem Vertrag zurückzutreten und ggfs. eine Vertragsstrafe in Kauf zu nehmen. Sagen wir mal so: wenn eine Heuschreckenfirma wie Blackrock den Firmen, deren Aktien sie als Investmentfirma hält, mehr Umweltschutz empfiehlt, ist das ein starkes Signal. Ich halte den Imageschaden für größer, das Geschäft abzuschließen, als vom Vertrag zurückzutreten und damit immer noch im Geist Werner von Siemens zu handeln.
Ihre Verwendung des "Unworts des Jahres 2019" zeigt mir aber deutlich, dass Sie wenig Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung haben. Die "Klimahysterie" wird eigentlich nur noch von den Leugnern der Klimakatastrophe verwendet. Mittlerweile sind sich *alle* Wissenschaftler einig, dass wir auf eine globale Katastrophe zusteuern und die Änderungen z.B. bei der Temperatur von Meeresströmungen, Jetstreams und anderen Kipppunkten nicht mehr rückgängig zu machen sind. Das Klimapaket, das die Bundesregierung letztes Jahr beschlossen hat, ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein und verletzt das Paris-Abkommen massiv.
Ein weiteres Detail als Ergänzung zu meinem vorigen Leserbrief: mehr als 60 andere Firmen, die in Verhandlungen mit Adani waren, haben ihre Zusammenarbeit wegen ökologischer Bedenken verweigert. Siemens ist die einzige von drei Firmen, die eine bestimmte Technik für die Transportzüge noch liefern könnte, denn die zwei anderen (Hitachi und Alsthom) verweigern sich ebenfalls aus Umweltschutzgründen. Falls Adani die Kohlemine wirklich in Betrieb nimmt, würde dies den gegenwärtigen CO2-Ausstoß von Australien verdoppeln, in Zahlen: es handelt sich hier um 700 Mio. Tonnen CO2 zusätzlich.