Leserbrief zu den Leserbriefseiten von 23. und 24.09.
Die Leserbriefe vom 23. und 24. September waren ja ein Fest für alle Coronaleugner, Impfgegner und Maskengegner!
Das Tüpfelchen auf dem I war die Behauptung, dass noch kein Ungeimpfter einen Geimpften gefährdet hat - diese Aussage ist sehr schlecht gealtert. In der psychologischen Forschung gibt es den Begriff "stochastischer Terrorismus" - bei genügend Hetze und Desinformation wird irgendwo, irgendwann zufällig jemand ausrasten. Genau das ist in Idar-Oberstein passiert - die Berieselung durch Querdenkerpropaganda bei compact, Hildmann, Tichy, Reitschuster usw. hat zum Mord an einem Angestellten geführt, der einen Kunden auf seine gesetzlichen Pflichten hingewiesen hat.
Ein Leserbrief behauptet, dass ein Maskenattest dazu dienen soll, dass die attestierte Person wieder frei am öffentlichen Leben teilnehmen kann. Was für ein verblendeter Irrtum! Wer keine Maske tragen kann, sollte sich besonders zurückhalten, weil er/sie ja stärker gefährdet ist. Die allermeisten Atteste sind m.E. Gefälligkeitsatteste, und es standen auch schon Ärzte und Inhaber wegen Urkundenfälschung vor Gericht.
Dann lese ich erneut das Gefasel von "beschleunigter Zulassung", offensichtlich ohne das Verständnis, wie eine Zulassung der EMA abläuft. Diese erfolgt gemäß den üblichen Regularien, wie Jens Spahn kürzlich auch nochmals in einer Diskussion mit "besorgten Bürgern" bestätigt hat. Die "bedingte" Zulassung bedeutet nur, dass die Produzenten aktuelle Studienergebnisse zügig nachreichen müssen, die Prüfungen sind genauso streng wie bei allen anderen Medikamenten. In USA wurde die Notzulassung vor einigen Wochen [Update: August 2021] in eine reguläre umgewandelt. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil die Studienlage nach fast zwei Milliarden Impfdosen sehr gut ist. Corona ist nach 18 Monaten eine der am intensivsten und besten erforschten Krankheiten der Medizingeschichte.
Weiterhin wird moniert, dass Impfverweigerer diskriminiert werden - das Grundgesetz ist im Wesentlichen ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat. Alle Grundrechte müssen gegeneinander abgewogen werden, und der Staat darf - natürlich - aus sachlichen Gründen die Bürger unterschiedlich behandeln. Abgesehen davon gilt bei allen Grundrechten immer das übliche Prinzip: sie enden dort, wo die Grundrechte anderer Mitmenschen beeinträchtigt werden. Schon allein aus diesem Grund ist es nachvollziehbar, dass für den Zutritt zu bestimmten Bereichen eine Impfung vorausgesetzt werden kann (dies gilt z.B. auch derzeit schon mit der Masernimpfung für Kindergarten und Schule).
Eine Impfung ist erwünscht und sinnvoll, um die zu schützen, die aus bestimmten Gründen nicht geimpft werden können, z.B. nach einer Chemotherapie. Im Übrigen gibt es mittlerweile auch Untersuchungen, dass sogar Immungeschwächte, Schwangere etc. die Impfung sehr gut vertragen, ggfs. muss die Impfung wiederholt werden, bis ausreichend Antikörper gebildet werden konnten. Leider wird auch immer wieder behauptet, die Impfung rufe Unfruchtbarkeit hervor - das ist falsch, wie die Uni Jena bestätigt (https://bit.ly/3zSayX0).
Zu den weiteren Aussagen aus den diversen Leserbriefen nur so viel: wer eine Corona-Impfung durchgemacht hat, ist noch lange nicht immun. Dies ist derzeit noch Gegenstand der Forschung und bei weitem nicht abschließend geklärt. Es gibt mittlerweile reichlich Berichte, dass Genesene sich erneut angesteckt hätten, sogar mit Todesfolge.
Höchst gefährlich finde ich die Behauptung, dass eine Corona-Infektion harmlos sei und insbesondere bei Kindern nichts zu befürchten ist. Die Spätfolgen von Corona, das sog. "Long Covid", werden gerade erst erforscht, und die langfristigen Aussichten für die Erkrankten decken ein weites Spektrum von dauerhaften gesundheitlichen Schäden ab. Hier ist jede Verharmlosung vollkommen unangebracht.
Zusammengefasst lässt sich sagen: jede Art von Impfstoff ist besser als nichts, und nach der erfolgreichen (2.) Impfung sollte es möglich sein, die weitere Ausbreitung der Mutationsformen einzuschränken. Dazu ist eine hohe Impfquote enorm wichtig.
Ich verstehe nicht, wie einerseits die WZ regelmäßig im redaktionellen Teil sachlich und objektiv über Corona berichtet und andererseits den verzerrten Darstellungen in Leserbriefen so viel Raum gibt.