25.02.2015

Nebelkerzen über TTIP - Leserbrief

Am 11.02.2015 hat die WZ eine Glosse von Hr. Gillies veröffentlicht, in der er vehement für das TTIP-Abkommen eintritt und pauschal alle TTIP-Gegner als "amerikafeindlich" abwatscht. Das fand ich journalistisch so daneben, dass ich (nicht als einziger) einen Leserbrief dazu geschrieben habe (veröffentlicht am 18.02.2015).

Wenn ich richtig gezählt habe, gab es inzwischen vier (!) Leserbriefe, die die Glosse genauso unterirdisch fanden wie ich.

Dazu fällt mir das außerordentlich wichtige Zitat von Hanns Joachim Friedrichs ein: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache - auch nicht mit einer guten Sache".

Leserbrief zur Glosse Hr. Gillies "TTIP"

Hr. Gillies schreibt über das "Transatlantische Freihandels- und Investitionsschutzabkommen" TTIP und seine Vorteile.
Leider versteigt sich die Glosse zu Allgemeinplätzen, wie toll doch dieses Abkommen für die Wirtschaft sein wird, insbesondere für die in Deutschland heilige Autoindustrie.
Um den Widerstand gegen den Vertrag lächerlich zu machen, wird das "Chlorhühnchen" als Beispiel gebracht. Aber das Chlorhühnchen ist nur ein Symptom, nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs.
Wer glaubt denn ernsthaft daran, dass der jeweils "beste" Standard im Sinne des Verbrauchers sich durchsetzen wird? Der billigste und einfachste Standard wird es sein!

Das TTIP-Abkommen soll weltweit Standards vereinheitlichen und damit den Handel vereinfachen. In dieser Schlichtheit hört sich das richtig gut an. Allerdings steckt wie üblich der Teufel im Detail: eine Vereinheitlichung bedeutet im Allgemeinen, dass immer der niedrigste Standard aus allen Partnerländern angenommen wird. Dieses Abkommen wird weltweit zwischen USA, EU, Kanada, Mexiko, Schweiz und vielen anderen Ländern abgeschlossen. Leider stammen die Entwürfe nicht von den Parlamenten, sondern von Lobbyvertretern der Industrie unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Beteiligung der nationalen Parlamente oder des EU-Parlaments, und damit faktisch ohne demokratische Kontrolle. Es steht zu befürchten, dass durch das Abkommen Umwelt- und Gesundheitsstandards untergraben und Arbeitnehmerrechte aufgeweicht werden. Die Vertragstexte dürfen nicht einmal von den Parlamentariern oder anderen Organisationen eingesehen, geschweige denn von ihnen Änderungen vorgeschlagen werden! Auffällig ist z.B. auch, dass Gewerkschaften, die ja die Arbeitnehmer repräsentieren, zur Arbeitsgruppe für Arbeitsplatz und Wachstum keinen Zugang haben.

In Deutschland sprechen sich nicht nur "amerikafeindliche" Menschen, wie Hr. Gillies sie polemisch tituliert, gegen dieses Abkommen aus! U.a. haben sich Gewerkschaften, NGOs und Umweltschutzorganisationen wie ver.di, ATTAC, BUND, DNR uvm. dagegen positioniert. ver.di bezeichnet TTIP als "Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt". Die wirtschaftsfreundliche Bertelsmann-Stiftung, die übrigens an diesem Abkommen mitschreiben darf, schreckt nicht vor methodisch unsauberen Studien zurück, die schon widerlegt wurden.

Nach meiner Meinung schafft dieses Abkommen nationale Regierungen und demokratisch verabschiedete Gesetze so gut wie ab. Wenn einem internationalen Konzern ein Gesetz nicht passt, wird dagegen geklagt. Würden Staaten also gegen die TTIP-Vertragsregelungen verstoßen, könnten hohe Entschädigungen an Unternehmen fällig werden. Darüber würden Schiedsgerichte entscheiden, die keiner nationalen Gesetzgebung und Kontrolle unterworfen wären. Diese Entscheidungen von Schiedsgerichten könnten dann nicht mehr gerichtlich angegriffen werden. "Transparenz" und "Berufungsmöglichkeiten" wird es auch nicht geben, wie der Spiegel bereits berichtet hat. Der Staat ist immer der Beklagte, und es gibt für ihn keine Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichts anzufechten. (Quelle: Spiegel Online).

Ein weiterer Verhandlungsgegenstand von TTIP ist z.B. die Rücknahme von Kontrollen und Regeln für den Finanzsektor. Wollen wir die Konzerne weiter entfesseln und unsere Souveränität privatisieren?

Dies sind reale Beispiele, was mit diesen Regelungen auch auf uns zukommen könnte:

Die kanadische Provinz Québec hat ein Moratorium für das Fracking von Schiefergas und Öl erlassen. Deshalb klagt das US-Unternehmen Lone Pine, welches zuvor eine Probebohrungslizenz erworben hatte, vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den Staat Kanada und fordert 250 Millionen Dollar für den zu erwartenden Gewinnausfall. Wohlgemerkt, es geht nicht um die Rückzahlung von Gebühren oder Entschädigung für schon getätigte Ausgaben, sondern um den entgangenen Gewinn!

Der Tabakkonzern Phillip Morris klagt auf Entschädigung in Milliardenhöhe gegen Australien aufgrund entgangener Gewinne durch strengere Gesetze zum Tabakkonsum.

Trotz rechtswidrigen Handelns wurde dem US-Ölriesen Oxy in Ecuador von einem Schiedsgericht eine Entschädigung von fast zwei Milliarden Dollar zuerkannt.